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Schliessen
Zora Berweger

Greeting the Unseen

Kunsthalle

Einleitung

Das Schaf­fen von Zora Ber­we­ger (*1981, in Bern, CH, lebt und ar­bei­tet in Leip­zig, DE) um­fasst Ma­le­rei, Zeich­nung, Ke­ra­mik, In­stal­la­ti­on, Skulp­tur, Fo­to­gra­fie und Licht. Ihre mul­ti­me­di­a­len Ar­bei­ten spei­sen sich aus einem Vo­ka­bu­lar geo­me­tri­scher Grund­for­men und ar­cha­isch an­mu­ten­der Ge­gen­stän­de sowie einer der Natur ent­lehn­ten Form­ge­bung. 

Mit mi­ni­ma­len Mit­teln und prä­zi­ser Ma­te­ri­a­li­sie­rung in­sze­niert Zora Ber­we­ger ihre Ar­bei­ten als räum­li­che Set­zun­gen. Sie un­ter­sucht den Ausstel­lungs­ort wie einen Bild­raum, spielt mit Mass­stäb­lich­keit, Kon­stel­la­ti­o­nen oder Ver­schie­bun­gen und setzt die un­ter­schied­li­chen Me­di­en in Be­zie­hung. Ei­gen­hei­ten von Kör­pern, Ober­flä­chen und Stoff­lich­keit ver­ei­nen sich in ihren Wer­ken mit der Wahr­neh­mung von Licht und Farbe und er­hal­ten da­durch eine ver­än­der­te Prä­senz. 

In­spi­riert von den räum­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten der Kunst­hal­le Ap­pen­zell ori­en­tiert sich die Künst­le­rin an der Figur eines Ge­wäch­ses. Sie fo­kus­siert Funk­ti­o­nen, Po­ten­zi­a­le und Zu­ord­nun­gen von ver­schie­de­nen Be­stand­tei­len einer Pflan­ze und schafft Kom­bi­na­ti­o­nen, die stets auch auf das Un­ge­se­he­ne und Ver­bor­ge­ne ver­wei­sen. Wäh­rend im Erd­ge­schoss das Wur­zel­werk, wel­ches als Teil einer Pflan­ze in der Erde ver­an­kert ist und un­se­rem Blick gröss­ten­teils ver­bor­gen bleibt, als in­halt­li­cher und for­ma­ler Aus­gangs­punkt dient, ist es im mitt­le­ren Saal das Zen­trum eines Ge­wäch­ses, wo Nähr­stof­fe ge­bün­delt wer­den und die Kräf­te zu­sam­men­flies­sen. Im obers­ten Raum ste­hen Er­schei­nungs­for­men in­ner­halb un­se­rer At­mo­sphä­re sowie die Ver­bin­dung zum Kos­mos im Zen­trum.

Die ein­zel­nen Licht­zei­chen von Roots (2023), einer ei­gens für die Ausstel­lung ge­schaf­fe­n­en Neon­in­stal­la­ti­on, bil­den zu­sam­men eine Art leuch­ten­des Wur­zel­sys­tem. Die Ne­on­kör­per er­we­cken mehr­fa­che As­so­zia­ti­o­nen: Sie kön­nen an ty­po­gra­fi­sche Ele­men­te, Schrift­zei­chen aus ver­gan­ge­nen Kul­tu­ren, mög­li­cher­wei­se an Hi­e­ro­gly­phen, Sym­bo­le, An­ten­nen, Ast­wer­ke oder ein­fachs­te Werk­zeu­ge er­in­nern. Roots ver­weist auf Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­te­me, wie zum Bei­spiel das der Pflan­zen, die über ihre Wur­zeln im Kon­takt zu­ein­an­der ste­hen, wobei nicht nur der In­for­ma­ti­ons­aus­tausch von Be­deu­tung ist, son­dern auch das Mo­ment des Lau­schens und Zu­hö­rens.

Raum 1

Calluna vulgarisKutschera, L., Lichtenegger, E., Wurzelatlas mitteleuropaeischer Gruenlandpflanzen,  Band 2 / 1: Pteridophyta und Dicotyledoneae, Stuttgart / Jena / New York, Gustav Fischer Verlag, 1992, S. 851

Calluna vulgaris
Kutschera, L., Lichtenegger, E., Wurzelatlas mitteleuropaeischer Gruenlandpflanzen,  Band 2 / 1: Pteridophyta und Dicotyledoneae, Stuttgart / Jena / New York, Gustav Fischer Verlag, 1992, S. 851

SG Mit der Ausstel­lung Gree­ting the Un­se­en schaffst du einen kon­zep­tu­el­len Bezug zu einem Pflan­zen­ge­wächs. Wie ver­bin­den sich deine Ar­beit und die Ausstel­lung mit die­sem Bild?

ZB Durch eine Freun­din bin ich vor ein paar Jah­ren auf ein di­gi­ta­les Ar­chiv alter Zeich­nun­gen von Wur­zel­sys­te­men ge­stos­sen. Ich war au­gen­blick­lich fas­zi­niert und be­rührt davon. Die Tat­sa­che, dass oft­mals der gröss­te An­teil einer Pflan­ze un­se­ren Augen ver­bor­gen bleibt, und wel­che Schön­heit sich of­fen­bart, wenn man erst­mal das ge­sam­te (phy­si­sche) Wesen einer Pflan­ze wahr­neh­men kann, wird in die­sen Zeich­nun­gen of­fen­kun­dig. Auch das Zu­sam­men­spiel die­ser Be­rei­che, zwi­schen die­sen po­la­ren Zonen – die man zum Bei­spiel als sicht­bar / ver­bor­gen, hell / dun­kel, auf­wärts / ab­wärts stre­bend, etc. be­nen­nen könn­te – wird wahr­nehm­bar.
Als ich dann die Ein­la­dung zu die­ser Ausstel­lung bekam und mir die Räume an­ge­se­hen hatte, stie­gen diese Zeich­nun­gen der Wur­zel­sys­te­me un­er­war­tet in mir hoch. Sie über­lapp­ten sich mit den Ein­drü­cken der Ar­chi­tek­tur der Kunst­hal­le, den drei über­ein­an­der­lie­gen­den Räu­men.

SG Wel­che Be­deu­tung hat für dich der Ausstel­lungs­ti­tel Gree­ting the Un­se­en?

ZB Der Titel drückt eine in­ne­re Hal­tung aus, aus der meine Ar­bei­ten ent­sprin­gen – und wohl vie­les in mei­nem Leben. Es ist die­ses In­ter­es­se, oder die Freu­de daran, hin­ter die Dinge zu bli­cken, in die Tiefe oder Weite zu rufen und mit allen mir zu­gäng­li­chen Sin­nen wahr­zu­neh­men, zu lau­schen. «Gree­ting» meint hier, sich fei­er­lich auf etwas aus­zu­rich­ten, sich dahin zu öff­nen und zu lau­schen. Denn der Gruss wird meist auch er­wi­dert. «The Un­se­en» be­zieht sich eben­so auf die fein­stoff­li­chen Be­rei­che wie auch auf die schlicht und ein­fach un­be­ach­te­ten Be­rei­che, auf das Ver­bor­ge­ne oder das, was uns phy­sisch ge­se­hen nicht zu­gäng­lich ist.

Skizze der Lichtzeichen von Roots (2023)

Skizze der Lichtzeichen von Roots (2023)

SG Ein zen­tra­les Werk, das den Be­ginn der Ausstel­lung mar­kiert, ist Roots (2023). Wie ist die Neon­in­stal­la­ti­on ent­stan­den?

ZB Der Aus­gangs­punkt war der Ausstel­lungs­raum selbst und die Vi­si­on, die­sen Raum dem Wur­zel­werk sowie den Ge­fil­den im Er­d­in­ne­ren zu wid­men. Die Idee zu der Neon­in­stal­la­ti­on ist so blitz­ar­tig auf­ge­taucht, dass ich kaum davon er­zäh­len kann. Es war ein­fach klar, so­wohl das Me­di­um als auch die Anmut der For­men. Dann be­gann der Pro­zess der Um­set­zung, wie – nebst allen tech­ni­schen Ab­klä­run­gen – das Zeich­nen, Aus­wäh­len und Ab­stim­men der ein­zel­nen Kon­tu­ren. Für mich macht das Me­di­um Licht hier viel Sinn. So trägt zum Bei­spiel die Be­we­gung des Grüs­sens (Gree­ting) auch Licht mit sich, es ist, als würde man einen Licht­strahl aus­sen­den. Dann wie­der­um, wenn ich den Ant­wor­ten lau­sche, tau­chen aus der Erde viel­fa­che Lich­ter auf, wie etwa das Mi­ne­ral­reich, wel­ches zu­rück­fun­kelt. Das Kom­mu­ni­zie­ren an sich könn­te man auch als Lichtaus­tausch be­trach­ten.

ohne Titel (evolve), 2019Neon, Edition 3 + 1AP / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger

ohne Titel (evolve), 2019
Neon, Edition 3 + 1AP / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger

SG Licht ist ein Ma­te­ri­al, das immer wie­der in dei­ner Pra­xis auf­taucht. Wie un­ter­schei­det sich die Ar­beit mit Licht von der mit an­de­ren Ma­te­ri­a­li­en?

ZB Ei­ner­seits spie­len die tat­säch­li­chen Ma­te­ri­a­li­en eine Rolle – Glas, Kabel, Trans­for­mer. Es bringt etwas In­dus­tri­el­les, Glat­tes, Küh­les, Tech­ni­sches mit sich. Das emp­fin­de ich als wohl­tu­en­de und wich­ti­ge Er­gän­zung oder Er­wei­te­rung in­ner­halb mei­nes Wer­kes. So auch die durch das Me­di­um be­ding­te Form­ge­bung: die Kla­r­heit von Li­ni­en, deren zei­chen­haf­te Wir­kung. Auch die Tat­sa­che, dass ich die An­fer­ti­gung ex­tern in Auf­trag gebe, macht für mich einen gros­sen Un­ter­schied.
Und dann ist da das Licht an sich, die Wir­kung des Me­di­ums, wel­ches wie­der­um bei­na­he eine kon­trä­re Wir­kung zu dem eben Be­schrie­be­nen hat. Es wirkt ent­gren­zend, ist im­ma­te­ri­el­ler Natur. Es durch­schrei­tet die Gren­zen von Flä­che und Raum, Form und Form­lo­sig­keit. So ge­se­hen nimmt es in mehr­fa­cher Hin­sicht eine über­aus ver­bin­den­de Rolle ein. Gleich­zei­tig kann es auch als ent­rückt wahr­ge­nom­men wer­den. Die­ses Os­zil­lie­ren hat etwas Auf­re­gen­des an sich. Zudem finde ich Licht im Hin­blick auf Farbe span­nend, denn es macht diese für un­se­re phy­si­schen Augen auf eine Weise sicht­bar, wie man sie in­ner­lich er­le­ben kann.

Raum 2

grounding, 2016Acryl, Bambusstäbe, Gips, Glas, Kokosfaser, Öl, Pappmaché, Salzteig, Schlagmetall, Spachtelmasse

grounding, 2016
Acryl, Bambusstäbe, Gips, Glas, Kokosfaser, Öl, Pappmaché, Salzteig, Schlagmetall, Spachtelmasse

SG Für deine künst­le­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung sind die Räume, in denen du deine Ar­bei­ten zeigst, von Be­deu­tung. Wie gehst du vor, wenn du ein neues Ausstel­lungs­pro­jekt be­ginnst?

ZB Bevor ich ein neues Ausstel­lungs­pro­jekt oder auch eine neue Ar­beit an­ge­he, lau­sche je­weils nach innen. Ich stel­le mir Fra­gen dazu und schaue, was auf­taucht. Es sind Im­pul­se, die ich wahr­neh­me und die sich von innen her­aus aus­deh­nen, mich lei­ten und schlus­s­end­lich For­men fin­den. Es ist un­ter­schied­lich, wie sich diese Im­pul­se zei­gen. Immer wie­der sind es be­reits kon­kre­te in­ne­re Bil­der, zum Bei­spiel einer Skulp­tur oder eines Ma­te­ri­a­ls, manch­mal ist es eher ein in­ne­res Wis­sen, das mich wie ein Duft durch den Ent­ste­hungs­pro­zess führt. Und manch­mal ist es so, dass etwas auf­taucht, was ich spä­ter im Pro­zess immer wie­der be­fra­gen kann; eine Art Be­glei­ter. Ich finde, es ist eine sehr ef­fi­zi­en­te und gleich­zei­tig freie Art zu ar­bei­ten. Denn ich fühle dabei sehr schnell und klar, wo der Fokus liegt, was die Es­senz ist, wo es lang­geht, ohne je­doch die ei­gent­li­che Werk­ent­ste­hung zu stark zu kon­trol­lie­ren. So gibt es trotz­dem viel Spiel­raum fürs Mä­an­dern, im di­rek­ten Aus­tausch mit Farbe, Form und Ma­te­ri­al – was mir sehr wich­tig ist.

SG Du hast ein star­kes In­ter­es­se für Ma­te­ri­a­li­en und eig­nest dir immer wie­der neue Tech­ni­ken an, um Ar­bei­ten mit Werk­stof­fen zu schaf­fen, mit denen du bis­lang nicht ge­ar­bei­tet hat­test. Wie wich­tig ist dir die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ma­te­ri­el­len und der Aus­füh­rungs­tech­nik?

ZB Meist lasse ich mich von einer Ah­nung füh­ren und ver­su­che dann, das Ma­te­ri­al und Me­di­um zu fin­den, das ihr am al­ler­nächs­ten kommt. Auf diese Weise ge­ra­te ich häu­fig an für mich neue Werk­stof­fe und Um­set­zun­gen. Das ist manch­mal sehr un­an­ge­nehm, bin ich doch immer wie­der eine to­ta­le An­fän­ge­rin dabei. Gleich­zei­tig hat diese Un­be­da­rft­heit der An­fän­ge­rin eine gros­se Kraft. Da weht zu­wei­len ein Wind der Frei­heit und Ex­pe­ri­men­tier­freu­de. In die­ser Ausstel­lung trifft diese Viel­falt mei­ner Werke auf­ein­an­der und es er­gibt sich ein Zu­sam­menschwin­gen, das er­lebt wer­den kann, wor­auf ich mich be­son­ders freue.

ohne Titel (green heart), 2019Bast, Draht, Gips, Pigment / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger

ohne Titel (green heart), 2019
Bast, Draht, Gips, Pigment / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger

SG Was mir an dei­nen Wer­ken auf­fällt, ist deine Ar­beit mit dem Frag­men­ta­ri­schen. Man trifft auf ein­zel­ne re­du­zier­te Ele­men­te, die prä­zi­se Set­zun­gen im Raum dar­stel­len. Was ist dein In­ter­es­se am Frag­ment?

ZB Ich denke, da gibt es ver­schie­de­ne Zu­gän­ge. Wenn man ein­zel­ne Frag­men­te her­aus­löst und ihnen genug Raum gibt, kön­nen sie plötz­lich zum Spre­chen kom­men, wie es ihnen sonst kaum mög­lich ist, be­zie­hungs­wei­se kann man ihnen so als Be­trach­ter*in erst rich­tig gut zu­hö­ren. Das in­ter­es­siert mich. Es ist eine Liebe für die ein­zel­nen Er­schei­nungs­for­men. Bei den räum­li­chen Set­zun­gen von Frag­men­ten er­le­be ich es so, dass die ein­zel­nen Dinge voll­stän­dig prä­sent sind und sich durch ihr Zu­sam­men­spiel ein fei­ner Tanz er­gibt, auch in Kom­bi­na­ti­on mit dem um­her­schwei­fen­den Blick der Be­trach­ten­den – wie ver­schie­de­ne Lich­ter, die mit­ein­an­der, nach­ein­an­der und über­lap­pend kurz auf­leuch­ten, ab­blen­den und er­neut auf­blit­zen.

snake, transforming (8 trigrams), 2023Acryl, Pappmaché auf Alu-Dibond

snake, transforming (8 trigrams), 2023
Acryl, Pappmaché auf Alu-Dibond

SG Für die Ausstel­lung hast du zwei gros­se Re­li­efs re­a­li­siert: snake, trans­for­ming (8 tri­grams) und wales, connec­ting (8 tri­grams) (beide 2023). Sie er­in­nern mich an ge­heim­nis­vol­le Mo­ti­ve, Zei­chen und Bil­der er­lo­sche­ner Kul­tu­ren, wie die der Inka, Maya und Az­te­ken. Wäh­rend bei an­de­ren Ar­bei­ten for­ma­le Aspek­te in Re­la­ti­on zum Raum her­ausste­chen oder sich Er­schei­nungs­for­men der uns um­ge­ben­den Welt auf den Ober­flä­chen ma­ni­fes­tie­ren, wird hier eine Sym­bo­lik er­kenn­bar. Wie gehst du in dei­ner Ar­beit mit Zei­chen­sys­te­men um?

ZB Wahr­schein­lich habe ich dazu einen eher un­kon­ven­ti­o­nel­len Zu­gang. Für mich un­ter­schei­den sich Sym­bo­le und Zei­chen gar nicht so sehr von an­de­ren Er­schei­nungs­for­men. Was mich in­ter­es­siert, ist das Wesen be­zie­hungs­wei­se die zu­grun­de­lie­gen­de Kraft wahr­zu­neh­men. Ich ver­ste­he Zei­chen und Sym­bo­le als einen un­mit­tel­ba­ren Aus­druck einer be­stimm­ten In­for­ma­ti­on, die man «lesen» kann – be­wusst oder un­ter­be­wusst. Na­tür­lich gibt es in Bezug auf die Wir­kungs­kraft Un­ter­schie­de; nicht alle Zei­chen sind gleich deut­lich oder ge­bün­delt. Man­che trans­por­tie­ren kul­tu­rel­le Prä­gun­gen, und wie etwas emp­fan­gen wird, bil­det auch eine wich­ti­ge Kom­po­nen­te. Doch Sym­bo­le trans­por­tie­ren etwas All­ge­mein­gül­ti­ges und gren­zen sich von in­di­vi­du­a­li­sier­ten Er­schei­nungs­for­men ab. Dies schät­ze ich in mei­nem Schaf­fen in­so­fern, als dass sie die Ver­bin­dung allen Le­bens be­to­nen.

SG Da­ne­ben sehen wir eine neue Plas­tik, die aus­schaut wie ein Hügel. Wel­cher Schaf­fens- und Pro­duk­ti­ons­pro­zess geht dem Werk vor­aus?

ZB Brea­thing, ca­ta­ly­sing (2023) ist eine Ar­beit, die the­ma­tisch dem Zen­trum ge­wid­met ist. Im Bild der Pflan­ze ist es die Knol­le oder der Über­g­ang zum Stamm, bei uns Men­schen könn­te man vom Bauch­raum oder auch vom Her­zen spre­chen. Es ist der Ort der Bün­de­lung, da wo alles zu­sam­men­fliesst, wo Him­mel und Erde auf­ein­an­der­tref­fen, Po­la­ri­tä­ten in­ter­a­gie­ren und wo die Al­che­mie, die Trans­for­ma­ti­on ge­schieht. Für mich war klar, dass ich in die­sem mitt­le­ren Raum etwas di­rekt in die Mitte set­zen möch­te. Etwas, das so­wohl das Zen­trum als auch den In­nen­raum, das In­ne­re, die­sen Pool der Gä­rung be­tont. Das war der Grun­dim­puls zu die­ser Ar­beit.

SG Wel­che Rolle spielt die Natur in dei­ner künst­le­ri­schen Ar­beit?

ZB Das zeigt sich in un­ter­schied-li­chen Aspek­ten. Zum einen nutze ich die Natur, um mich selbst zu näh­ren und auf­zu­tan­ken. Dann gibt es für mich die Emp­fin­dung, dass sich meine Werke nicht aus­sch­liess­lich an die Men­schen rich­ten, son­dern dass sie durch­aus auch mit der Erde, den Mi­ne­ra­li­en, dem Tier- und Pflan­zen­reich in Ver­bin­dung tre­ten und kom­mu­ni­zie­ren. So ge­se­hen fühle ich mich auch durch das Kunst­ma­chen und im Schaf­fen­s­pro­zess­sehr mit der Natur ver­bun­den. In der Natur ver­spü­re ich etwas Ur­sprüng­li­ches, etwas das nichts sein will, son­dern ein­fach ist. Dies übt eine gros­se An­zie­hung auf mich aus. Am liebs­ten ist mir der Ge­dan­ke – auch wenn wir an­ders kon­di­tio­niert sind –, dass wir Men­schen Teil der Natur sind.

Raum 3

water bodies, 2021Epoxydharz, Gips, Gummi, Styropor

water bodies, 2021
Epoxydharz, Gips, Gummi, Styropor

SG Du schaffst in dei­ner Ar­beit Ob­jek­te, die auf ver­trau­te Dinge aus der uns um­ge­ben­den Welt ver­wei­sen und den­noch in ihrer zei­chen­haf­ten Re­duk­ti­on di­stan­ziert oder ent­rückt blei­ben. Ich denke zum Bei­spiel an water bo­dies (2021). Wel­che Kri­te­ri­en sind für deine Ent­schei­dung, wel­che Ele­men­te du mit­ein­an­der in Be­zie­hung setzt, von Be­deu­tung?

ZB Etwas, das mich fas­zi­niert, ist die Geo­me­trie, die allen Er­schei­nungs­for­men zu­grun­de liegt. Diese ganz es­sen­zi­el­len For­men, wie die ge­ra­de Linie, der Bogen, die Kugel, das Drei­eck, der rech­te Win­kel usw., strah­len für mich eine ur­tüm­li­che Kraft aus, die mich an den Ur­sprung und auch Zu­sam­men­halt allen Le­bens er­in­nert. Gleich­zei­tig gibt es diese un­glaub­li­che Viel­falt an Er­schei­nungs­for­men und jede ein­zel­ne ist höchst spe­zi­fisch. Ein Esel hat zum Bei­spiel eine an­de­re Ausstrah­lung und Wirk­kraft als eine Schne­cke. Ich habe mir das bis­her noch nie so genau über­legt, aber ich nehme an, dass ich häu­fig die Dinge aus der um­ge­ben­den Welt in meine Werke hole, die beide die­ser ge­nann­ten Aspek­te zum Aus­druck brin­gen.

SG Die Bil­der der Serie Cat’s Tra­ces (2022) täu­schen bei­na­he über ihr Ab­bild hin­weg und wir­ken wie re­el­le Raum­in­stal­la­ti­o­nen. Was in­ter­es­siert dich daran, räum­li­che Set­zun­gen fo­to­gra­fisch zu prä­sen­tie­ren?

ZB Im bes­ten Fall be­trach­te ich meine Ar­bei­ten, ins­be­son­de­re die In­stal­la­ti­o­nen, aus einem Raum der Stil­le her­aus. Die Stil­le er­mög­licht es mir, offen, frei, leer zu sein und mich mit den Din­gen ver­bin­den zu kön­nen. Oft­mals sind je­doch die räum­li­chen, ört­li­chen Be­din­gun­gen dafür nicht op­ti­mal – ge­schwei­ge denn die ei­ge­nen in­ne­ren Ge­ge­ben­hei­ten. Zudem habe ich auch fest­ge­stellt, dass es für man­che Men­schen noch schwie­ri­ger wird, still zu wer­den, so­bald sich der ei­ge­ne Kör­per und damit die Be­we­gung in Bezug zum Kunst­werk setzt. So wurde mein In­ter­es­se an der in­sze­nier­ten Fo­to­gra­fie ge­weckt. Ich war neu­gie­rig, was die Fo­to­gra­fie in Bezug auf die Stil­le kann. Denn die Fo­to­gra­fie hat die Ei­gen­schaft, den Raum in sich selbst zu tra­gen, quasi starr oder de­fi­niert. Auch der Blick des oder der Be­trach­ten­den ist darin be­reits vor­ge­ge­ben. Das sind also spe­zi­fi­sche Vor­aus­set­zun­gen, die das Me­di­um Fo­to­gra­fie mit sich bringt und die es er­mög­li­chen, einen Blick in den Raum zu wer­fen. Mög­li­cher­wei­se wer­den die Be­trach­ter*in­nen von die­sem stil­len Raum an­ge­zo­gen, in ihn hin­ein­ge­zo­gen – oder aber die Stil­le dehnt sich bis in den phy­si­schen Raum aus.

SG Wie du sagst, ist eine Ausstel­lungs­be­ge­hung nicht nur durch Ma­te­rie und Raum be­stimmt, son­dern auch durch den ei­ge­nen Kör­per, der sich in Be­zie­hung zu den Ele­men­ten setzt. Wie wich­tig ist für dich der mensch­li­che Kör­per?

ZB Der mensch­li­che Kör­per ist mir in vie­ler­lei Hin­sicht wich­tig. Zum einen kann man ihn als feste Ma­te­rie ver­ste­hen, ge­nau­so wie ein Ge­mäl­de, eine Skulp­tur, eine Pflan­ze, den Pla­ne­ten Erde, wie all die grob­stoff­li­chen Er­schei­nungs­for­men. Er ist ge­nau­so ma­ni­fest in Form, Farbe, Be­schaf­fen­heit. Ich finde es span­nend, mit und durch den Kör­per wahr­zu­neh­men, was ein Kunst­werk be­wirkt. Ins­be­son­de­re bei mei­nen In­stal­la­ti­o­nen emp­fin­de ich den Bezug zum Kör­per als ele­men­tar und ein­fach zu­gäng­lich. Der Kör­per wird di­rekt an­ge­spro­chen, nicht un­be­dingt als Mit­spie­ler, aber als einer, der ein­ge­la­den ist, das Spiel und des­sen Aus­wir­kun­gen haut­nah mit­zu­ver­fol­gen.

ohne Titel (nature), 2023Öl, Sand, Spachtelmasse auf Leinwand / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger 

ohne Titel (nature), 2023
Öl, Sand, Spachtelmasse auf Leinwand / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger 

SG Du hast ur­sprüng­lich Ma­le­rei­en ge­schaf­fen, ar­bei­test je­doch in der Zwi­schen­zeit in ver­schie­de­nen Me­di­en. Wel­che Rolle spielt die Ma­le­rei noch in dei­ner Ar­beit?

ZB Wenn ich das wüss­te! Nun, ich ver­mu­te, dass ich zu­künf­tig wie­der ver­mehrt auch zur Ma­le­rei fin­den werde. In den letz­ten Jah­ren war es so, dass ich mich darin we­ni­ger frei ge­fühlt habe als in den drei­di­men­si­o­na­len Me­di­en – das lag am Ent­ste­hungs­pro­zess. Den­noch habe ich mich immer wie­der mal an meh­re­re klei­ne Lein­wän­de ge­setzt und eine davon ist nun die­ses Jahr fer­tig ge­wor­den. Ein wich­ti­ger Zu­gang zur Ma­le­rei ist für mich auf jeden Fall die Farbe, und die­ser Zu­gang ver­liert sich zum Glück nicht. Es ist auch in­ter­es­sant, wie sich das Frag­men­ta­ri­sche eben­so in mei­nen Ma­le­rei­en wie­der­fin­det, es dort aber ir­gend­wie an­ders zu wir­ken/funk­tio­nie­ren scheint. Mir kommt es vor, als bil­de­ten dort die ein­zel­nen Frag­men­te eine Art räum­li­ches Feld.

SG Wäh­rend der Ausstel­lungs­dau­er wirst du drei­mal – in jedem Stock­werk ein­mal – eine ge­führ­te Me­di­ta­ti­on an­bie­ten. Was er­war­tet die Be­su­cher*in­nen?

ZB Ich möch­te die Ausstel­lung, das Zu­sam­men­spiel der Werke in die­sen Räum­lich­kei­ten sowie die The­ma­tik der ein­zel­nen Stock­wer­ke – im Grun­de ge­nom­men die ge­sam­te At­mo­sphä­re, die sich durch diese Ausstel­lung er­gibt – nut­zen, um die Be­su­cher*in­nen auf in­ne­re Rei­sen in mehr­heit­lich un­ge­se­he­ne und für un­se­re phy­si­schen Kör­per schwer zu­gäng­li­che Ge­fil­de ein­zu­la­den.

Bio

Die Ber­ner Künst­le­rin mit Ap­pen­zel­ler Wur­zeln Zora Ber­we­ger (*1981 in Bern ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen, lebt und ar­bei­tet in Leip­zig, DE) ab­sol­vier­te eine Aus­bil­dung zur The­a­ter­ma­le­rin und be­gann da­nach ein Stu­di­um für Tex­til­de­sign an der Hoch­schu­le für Ge­stal­tung und Kunst in Lu­zern, bevor sie 2006 nach Leip­zig zog, um als frei­schaf­fen­de Künst­le­rin zu ar­bei­ten.

Ber­we­ger hatte zahl­rei­che Ein­zel- oder Dop­pelausstel­lun­gen in Eu­r­o­pa. 2022 wurde die Künst­le­rin mit dem «Neu­start Kul­tur»-Sti­pen­di­um der Stif­tung Kunst­fonds; 2021 mit einem Ar­beitss­ti­pen­di­um der Stadt Leip­zig und 2020 sowie 2013 mit einem Werk­bei­trag der Aus­serr­ho­di­schen Kul­tur­stif­tung aus­ge­zeich­net.

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Impressum

KU­RA­TO­RIN
Ste­fa­nie Gschwend

TEAM
Anna Beck-Wör­ner, Re­gi­na Brü­li­sau­er, Ste­fa­nie Gschwend, Chris­ti­an Hör­ler, Chris­ti­an Meier, Clau­dia Reeb,
Ma­dlei­na Ru­tis­hau­ser

AUSSTEL­LUNGS­UM­BAU
Chris­ti­an Hör­ler, Chris­ti­an Meier mit Ueli Alder, Ro­swi­tha Gobbo, Do­mi­nik Hull, Ca­ri­na Kirsch, Ni­klaus Ul­mann

BE­SU­CHER*IN­NEN­BE­TREU­UNG
MU­SE­UM AT­TEN­DANTS Ra­pha­e­la Böhi, Do­mi­ni­que Fran­ke, Mar­grit Gmün­der, Ro­swi­tha Gobbo, Mar­grit Küng, Ba­r­ba­ra Metz­ger, Cris­ti­na Mosti, Ma­dlei­na Ru­tis­hau­ser, Me­la­nie Scher­rer

TEXT
Ste­fa­nie Gschwend

LEK­TO­RAT
Mi­cha­e­la Alex-Ei­ben­stei­ner

ÜBER­SET­ZUNG
Katja Na­u­mann

COUR­TE­SY
Cour­te­sy the ar­tist
Fotos: Zora Ber­we­ger

GRA­FIK
Data-Orbit / Mi­chel Egger, St.Gal­len

DANK
Zora Ber­we­ger, Liz Craft, Paul-Aymar Morgue d’Algue, Paul Ber­nard, Laura Weber, Team Kunst­haus Pas­quart / Cen­tre dʼé­di­ti­on con­tem­po­rai­ne, Genf, Fonds can­to­nal dʼart con­tem­po­rain, Genf, Ga­le­rie Loe­ven­bruck, Paris, MAMCO, Genf, Swana Mourgue dʼAlgue, Neue alte Brü­cke, Frank­furt, Sé­bas­ti­en Pey­ret, FR, Anne Shel­ton Aaron und Leih­ge­ber*in­nen, die nicht na­ment­lich ge­nannt wer­den möch­ten

ZORA BER­WE­GER – GREE­TING THE UN­SE­EN WURDE FREUND­LICH UN­TER­STÜTZT VON
Stif­tung Erna und Curt Bur­gau­er

Zora Berweger
Greeting the Unseen
Kunsthalle
Calluna vulgarisKutschera, L., Lichtenegger, E., Wurzelatlas mitteleuropaeischer Gruenlandpflanzen,  Band 2 / 1: Pteridophyta und Dicotyledoneae, Stuttgart / Jena / New York, Gustav Fischer Verlag, 1992, S. 851

Calluna vulgaris
Kutschera, L., Lichtenegger, E., Wurzelatlas mitteleuropaeischer Gruenlandpflanzen,  Band 2 / 1: Pteridophyta und Dicotyledoneae, Stuttgart / Jena / New York, Gustav Fischer Verlag, 1992, S. 851

Skizze der Lichtzeichen von Roots (2023)

Skizze der Lichtzeichen von Roots (2023)

ohne Titel (evolve), 2019Neon, Edition 3 + 1AP / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger

ohne Titel (evolve), 2019
Neon, Edition 3 + 1AP / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger

grounding, 2016Acryl, Bambusstäbe, Gips, Glas, Kokosfaser, Öl, Pappmaché, Salzteig, Schlagmetall, Spachtelmasse

grounding, 2016
Acryl, Bambusstäbe, Gips, Glas, Kokosfaser, Öl, Pappmaché, Salzteig, Schlagmetall, Spachtelmasse

ohne Titel (green heart), 2019Bast, Draht, Gips, Pigment / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger

ohne Titel (green heart), 2019
Bast, Draht, Gips, Pigment / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger

snake, transforming (8 trigrams), 2023Acryl, Pappmaché auf Alu-Dibond

snake, transforming (8 trigrams), 2023
Acryl, Pappmaché auf Alu-Dibond

water bodies, 2021Epoxydharz, Gips, Gummi, Styropor

water bodies, 2021
Epoxydharz, Gips, Gummi, Styropor

ohne Titel (nature), 2023Öl, Sand, Spachtelmasse auf Leinwand / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger 

ohne Titel (nature), 2023
Öl, Sand, Spachtelmasse auf Leinwand / courtesy the artist / Foto: Zora Berweger 

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