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Schliessen
Arp / Taeuber-Arp / Bill

Allianzen

Kunstmuseum

Einleitung

Die Ausstel­lung be­leuch­tet die Freund­schaft und die Zu­sam­me­n­a­r­beit von drei Haupt­fi­gu­ren der eu­ro­pä­i­schen Avant­gar­de: Hans Arp (1886–1966), So­phie Taeu­ber-Arp (1889–1943) und Max Bill (1908–1994). Im Zen­trum steht ihre Rolle und Mit­wir­kung in wich­ti­gen Künstler­grup­pen und -zeit­schrif­ten der 1930er und 1940er Jahre.

Al­li­an­zen ver­an­schau­licht das En­ga­ge­ment avant­gar­dis­ti­scher Künstler­grup­pen für die nicht ge­gen­ständ­li­che Kunst. In den 1930er Jah­ren, einer Zeit gros­ser Un­ru­hen, ent­stan­den Grup­pen und Ver­ei­ni­gun­gen von Künst­le­rin­nen und Künst­lern, die sich die Ver­tei­di­gung und Ver­brei­tung der ge­gen­stands­lo­sen Kunst zum Ziel ge­setzt hat­ten. Zu­nächst in Paris, wo sich Grup­pen wie Cer­cle et Carré und Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on bil­de­ten, dann in der Schweiz mit der Ver­ei­ni­gung Al­li­anz, die mo­der­ne Künst­ler*in­nen zu­sam­men­brach­te und ihre Werke durch ge­mein­sa­me Ausstel­lun­gen und vom Al­li­anz-Ver­lag her­aus­ge­ge­be­ne Port­fo­li­os för­der­te.

Ge­zeigt wer­den Map­pen­wer­ke, die als künst­le­ri­sche und ver­le­ge­ri­sche Ge­mein­schafts­pro­duk­ti­o­nen wäh­rend oder in den Jah­ren vor dem Zwei­ten Welt­krieg ent­stan­den – in einer Zeit zu­neh­men­der Mar­gi­na­li­sie­rung der künst­le­ri­schen Avant­gar­de. Neben den Port­fo­li­os ge­hör­te die Her­aus­ga­be von Pu­bli­ka­ti­o­nen und Zeit­schrif­ten sowie Ausstel­lungs­be­tei­li­gun­gen zu den Ak­ti­vi­tä­ten. Zu sehen sind Zeich­nun­gen, Ge­mäl­de, Skulp­tu­ren und Re­li­efs von Arp, -Taeu­ber-Arp und Bill, die zum Teil in wich­ti­gen his­to­ri­schen Ausstel­lun­gen ver­tre­ten waren. Brie­fe er­gän­zen die Schau und be­leuch­ten die In­ter­ak­ti­on zwi­schen den drei Prot­ago­nist*in­nen. Die Ent­wür­fe für die sechs­te Aus­ga­be von Plas­ti­que Pla­stic, der von So­phie Taeu­ber-Arp her­aus­ge­ge­be­nen Zeit­schrift für un­ge­gen­ständ­li­che Kunst, wer­den erst­mals über­haupt in einer Ausstel­lung ge­zeigt.

Die Werke stam­men aus der Fon­da­zio­ne Mar­gue­ri­te Arp und der Samm­lung von Chan­tal und Jakob Bill sowie aus in­sti­tu­ti­o­nel­len und pri­va­ten Samm­lun­gen. Die Ausstel­lungs­idee stammt von Jakob Bill.

Ku­ra­tiert von Ste­fa­nie Gschwend und Si­mo­na Mar­ti­no­li

Die Ausstel­lung ent­steht in Ko­ope­ra­ti­on mit der Fon­da­zio­ne Mar­gue­ri­te Arp, Lo­car­no, wo vom 31. März – 3. No­vem­ber 2024 eine er­gän­zen­de Schau ge­zeigt wird

An­läss­lich der Ausstel­lung ist die Pu­bli­ka­ti­on al­li­an­zen. arp, taeu­ber-arp, bill im Ver­lag Schei­deg­ger & Spiess er­schie­nen, die mit Tex­ten von Isa­bel­le Ewig, Wal­bur­ga Krupp und Jakob Bill das Thema ver­tieft. Ausstel­lungs­preis CHF 42 im Shop.

Biografien

Hans / Jean Arp (1886–1966) gilt als Ver­tre­ter der klas­si­schen Mo­der­ne und war eine zen­tra­le Künst­ler­fi­gur der eu­ro­pä­i­schen Avant­gar­de des 20. Jahr­hun­derts. Er schuf ein viel­sei­ti­ges Œuvre, das von Plas­ti­ken, Re­li­efs, Col­la­gen und Ge­mäl­den, Ra­die­run­gen, Zeich­nun­gen und Tex­til­ent­wür­fe über deutsch- und fran­zö­sisch­spra­chi­ge Ge­dich­te reicht. Wäh­rend dem ers­ten Welt­krieg wurde er zum Mit­be­grün­der der Dada-Be­we­gung in Zü­rich. Er lern­te So­phie Taeu­ber ken­nen, mit der sich eine enge künst­le­ri­sche Zu­sam­me­n­a­r­beit ent­wi­ckel­te. Arp wen­de­te er sich dem Sur­re­a­lis­mus und der kon­kre­ten Kunst zu und war Mit­glied wich­ti­ger in­ter­na­ti­o­na­ler Künst­ler­ver­ei­ni­gun­gen. Wäh­rend dem zwei­ten Welt­krieg be­such­te er mit So­phie Taeu­ber-Arp Zü­rich, wo sie wenig spä­ter bei einem Un­fall starb. Nach Kriegs­en­de kehr­te Arp nach Frank­reich zu­rück und hei­ra­te­te 1959 Mar­gue­ri­te Ha­gen­bach. Ab den 1950er Jah­ren fand sein Werk in den USA Be­ach­tung. Am 7. Juni 1966 stirbt Hans Arp in Basel.

So­phie Taeu­ber-Arp (1889–1943) gilt als Ver­tre­te­rin der kon­kre­ten, rhyth­misch-geo­me­tri­schen Kunst. Sie war Ma­le­rin, Bild­hau­e­rin, Tex­til- und In­nen­raum-Ge­stal­te­rin sowie Tän­ze­rin der Avant­gar­de. Mit ihrem in­ter­dis­zi­pli­nären künst­le­ri­schen Schaf­fen löste sie die Gren­zen zwi­schen Kunst und Leben auf, lehn­te tra­di­ti­o­nel­le Kunst­for­men und Ma­te­ri­a­li­en ab und such­te nach Al­ter­na­ti­ven. Taeu­ber-Arp stand in einem engen kre­a­ti­ven Aus­tausch mit Künstler­grup­pen der Avant­gar­de und be­weg­te sich in den Sze­nen zwi­schen Zü­rich und Paris. Sie wurde Teil ver­schie­de­ner Künstler­grup­pen und war in wich­ti­gen Ausstel­lun­gen der nicht ge­gen­ständ­li­chen Kunst ver­tre­ten. So­phie Taeu­ber-Arp ist Mit­be­grün­de­rin der in­ter­na­ti­o­na­len Kunst­zeit­schrift Plas­ti­que Pla­stic. Die Künst­le­rin stirbt am 13. Ja­nu­ar 1943 an einer Koh­len­mon­oxid­ver­gif­tung in Zü­rich.

Max Bill (1908–1994) war Maler, Bild­hau­er, Ar­chi­tekt, De­si­g­ner, Gra­fi­ker, Ty­po­graph, The­o­re­ti­ker, Samm­ler, Ku­ra­tor, Pu­bli­zist, Leh­rer, Po­li­ti­ker und Ak­ti­vist. Seine Bei­trä­ge hat­ten einen gros­sen Ein­fluss auf das De­sign und die Kunst ab der Mitte des 20. Jahr­hun­derts. Bill gilt als einer der wich­tigs­ten Ver­tre­ter der Kon­kre­ten Kunst. Mit nur 30 Jah­ren wurde er zu einem zen­tra­len The­o­re­ti­ker der Be­we­gung und blieb jahr­zehn­te­lang ihr Ver­fech­ter und För­de­rer. Er or­ga­ni­sier­te Ausstel­lun­gen, ver­fass­te Texte über kon­kre­te Kunst und tausch­te sich in­ter­na­ti­o­nal mit Gleich­ge­sinn­ten aus. Für Bill waren Kunst und Ge­sell­schaft un­trenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den. Als Ver­mitt­ler zwi­schen den Ge­ne­ra­ti­o­nen brach­te er nach dem Zwei­ten Welt­krieg die Ideen der eu­ro­pä­i­schen nicht fi­gu­ra­ti­ven Avant­gar­de in Um­lauf, ak­tu­a­li­sier­te und ent­wi­ckel­te sie wei­ter.

Raum 1

Brü­cke Zü­rich / Paris, 1925

Der erste Kon­takt zwi­schen So­phie Taeu­ber und Max Bill ent­stand an der Zür­cher Kunst­ge­wer­be­schu­le. Ab 1916 lei­te­te So­phie Taeu­ber die Tex­til­klas­se. In ihrem Un­ter­richt woll­te sie Kunst, Ge­stal­tung, Hand­werk und All­tag auf schöp­fe­ri­sche Weise ver­bin­den. Sie war be­strebt die Gren­zen zwi­schen den Gat­tun­gen auf­zu­he­ben. Taeu­ber woll­te ihren Schü­ler*in­nen einen ‘Be­griff von den Pro­ble­men der Zeit’ ver­mit­teln und in die­sem Zu­sam­men­hang Kunst­ge­wer­be und bil­den­de Kunst ver­ei­nen. Ihre Lehre eines for­ma­len Aus­drucks löste die bis dahin üb­li­chen Ge­stal­tungs­sti­le kunst­ge­werb­li­cher Tex­ti­li­en, wie z.B. or­na­men­ta­le Mus­ter, ab.

So­phie Taeu­ber-Arp hat ein rei­ches, me­di­al viel­fäl­ti­ges und in­ter­dis­zi­pli­näres Werk hin­ter­las­sen. Sie war zu Be­ginn Aus­druck­s­tän­ze­rin und Kunst­hand­wer­ke­rin, wobei Wand­tep­pi­che, wie Ohne Titel (ca. 1925), Kis­sen und an­de­re Ein­rich­tungs­ge­gen­stän­de ent­stan­den. Nach ihrem Umzug nach Meu­don, FR, 1929 rich­te­te sich ihr Fokus auf die Ma­le­rei und Zei­chung, schuf aber auch räum­li­che Ar­bei­ten. Mit ihren Com­po­si­ti­ons ver­ti­ca­les-ho­ri­zon­ta­les ge­stal­te­te sie ab 1915 gänz­lich un­ge­gen­ständ­li­che Kom­po­si­ti­o­nen. Diese ge­hö­ren zu den ers­ten kon­kre­ten / kon­struk­ti­ven Kunst­wer­ken der Mo­der­ne und ent­stan­den etwa zeit­gleich mit denen von Piet Mon­dri­an und Ka­si­mir Ma­le­witsch. Es ent­steht der Ein­druck, dass Taeu­ber-Arp aus ihrer hand­werk­li­chen Pra­xis her­aus selbst­ver­ständ­li­cher und ra­di­ka­ler als die meis­ten ihrer Künst­ler­kol­le­gen zu neuen ab­s­trak­ten For­men fand.

​Die bei­den Schü­ler­a­r­bei­ten von Max Bill Ta­blett mit zwei Be­chern und Was­ser­kan­ne (beide 1925) sowie die Schü­ler­kar­te ver­wei­sen auf seine Stu­di­en­zeit an der Kunst­ge­wer­be­schu­le Zü­rich von 1924 bis 1927. Taeu­ber-Arp war in die­ser Zeit Ju­ry­mit­glied der Schwei­zer Sek­ti­on der Ex­po­si­ti­on In­ter­na­ti­o­na­le des Arts Dé­cora­tifs et In­dus­tri­els in Paris und an der Ent­schei­dung be­tei­ligt, zwei Ar­bei­ten Bills 1925 aus­zu­stel­len. Diese Ge­le­gen­heit führ­te den erst 17-jäh­ri­gen zum ers­ten Mal in die fran­zö­si­sche Me­tro­po­le.

1933, wie­der in Paris, trat der junge Ar­chi­tekt und Künst­ler Bill einer Ver­ei­ni­gung bei, der auch Taeu­ber-Arp und ihr Mann Hans Arp an­ge­hör­ten: der Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on. Es ist der Be­ginn einer frucht­ba­ren Zu­sam­me­n­a­r­beit und einer le­bens­lan­gen Freund­schaft.

Raum 2

Wahl­ver­wandt­schaf­ten

Im Ge­gen­satz zu Arp, der seine In­spi­ra­ti­ons­quel­le in der Natur fand, ver­trat Bill eine klare kon­struk­ti­ve Po­si­ti­on und such­te seine In­spi­ra­ti­on im ma­the­ma­ti­schen Den­ken. So­phie Taeu­ber-Arp ar­bei­te­te in den Jah­ren zwi­schen 1930 und 1939 an ver­schie­de­nen The­men, die sich über­la­ger­ten und sich auf­ein­an­der be­zo­gen. In ihrem Werk ent­stand ein Wech­sel­spiel zwi­schen kon­struk­ti­ver und bio­mor­pher Bild­spra­che. Es waren Jahre eines in­ten­si­ven und in­spi­rie­ren­den Aus­tauschs in den Pa­ri­ser Künst­ler­krei­sen. Trotz un­ter­schied­li­cher An­sät­ze ver­folg­te man die glei­chen Ziele: Die Ver­tei­di­gung und Ver­brei­tung der nicht ge­gen­ständ­li­chen Kunst.

Arp, Taeu­ber-Arp und Bill stan­den im Aus­tausch und in­spi­rier­ten sich ge­gen­sei­tig. In ihren Wer­ken fin­den sich zahl­rei­che Ver­wandt­schaf­ten und Be­zü­ge auf­ein­an­der.

Max Bill malte 1930 das Bild Ohne Titel, Zwei Köpfe mit einer flies­sen­den, wei­chen Li­ni­en­füh­rung, die an die Bild­spra­che von Hans Arp er­in­nert, der in sei­nem Werk Ten­den­zen der kon­kre­ten Kunst und des Sur­re­a­lis­ten ver­ein­te. Trotz Bills Be­schrän­kung auf ma­the­ma­ti­sche Grund­prin­zi­pi­en bie­tet sein Werk viel­fäl­ti­ge und un­dog­ma­ti­sche Aus­drucks­mög­lich­kei­ten.

So­phie Taeu­ber-Arps In­ter­es­se galt dem Aus­druck der Form und der Frage nach Rhyth­mus und Gleich­ge­wicht. Kreis, Recht­eck und Drei­eck for­mie­ren sich zu dy­na­mi­schen Kom­po­si­ti­o­nen. An­ord­nun­gen mit un­re­gel­mäs­sig ge­setz­ten fa­r­bi­gen Krei­sen wech­seln mit Kom­bi­na­ti­o­nen von Kreis und Recht­eck. In Wer­ken wie Sechs Räume (1932) ver­bin­den sich Kreis, Recht­eck, Drei­eck, Stab und Kreuz zu dy­na­mi­schen Ge­wichts­ver­la­ge­run­gen. Taeu­ber-Arps Ar­bei­ten schei­nen in die­ser Ge­gen­über­stel­lung mit Arp und Bill aber bei­na­he wie ein Bin­de­glied zu funk­tio­nie­ren.

Max Bill war auch Pro­dukt­ge­stal­ter und Ty­po­graf. Er ge­stal­te­te 1932 die Ti­tel­sei­te der an­ti­fa­schis­ti­schen Zeit­schrift in­for­ma­ti­on, auf der er eine Skulp­tur von Hans Arp einer ge­sell­schafts­kri­ti­schen Zeich­nung von Georg Grosz ge­gen­über­stell­te. Die­sem sa­ti­ri­schen Kopf steht Hans Arps Skulp­tur Bell and Na­vels (1931) ge­gen­über, die das In­ter­es­se des Künst­lers an der Natur als Al­ter­na­ti­ve zum Ra­ti­o­na­lis­mus re­prä­sen­tiert. 1932 greift Bill für ein Wer­be­pla­kat der Firma Wohn­be­da­rf wie­der­um auf Arps bio­mor­phes Vo­ka­bu­lar zu­rück.

Raum 3

Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on / Paris, 1932–36

In den 1930er Jah­ren war Paris das Zen­trum des Sur­re­a­lis­mus, einer künst­le­ri­schen Be­we­gung, die auf das Pu­bli­kum so­wohl ver­stö­rend und an­zie­hend wirk­te. Der Sur­re­a­lis­mus fand eine brei­te­re Ak­zep­tanz als nicht ge­gen­ständ­li­che Kunst, die es schwe­rer hatte, sich zu eta­blie­ren. Um die ge­gen­stands­lo­se Kunst zu för­dern und zu ver­brei­ten, bil­de­ten sich Grup­pen wie Cer­cle et Carré, Art Con­crét und Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on, zu denen auch So­phie Taeu­ber und Hans Arp ge­hör­ten. Auch der jün­ge­re Max Bill wurde ein Mit­glied von Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on, nach­dem ihn Hans Arp 1932 in die Grup­pe ein­ge­führt hatte.

Dem von der Grup­pe her­aus­ge­ge­be­ne Heft Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on. Art non fi­gu­ra­tif ging die von Mi­chel Seu­phor 1930 in Paris ge­grün­de­te Zeit­schrift Cer­cle et Carré vor­aus, sowie die ein­zi­ge Aus­ga­be der Zeit­schrift Art Con­cret, die im sel­ben Jahr von Theo van Does­burg in Paris auf­ge­legt wurde. Viele Künst­ler*in­nen, die sich an Cer­cle et Carré be­tei­ligt hat­ten, schlos­sen sich der Ver­ei­ni­gung Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on an. Die Ideen von Art Con­crét wer­den im Kreis der neuen Grup­pe wei­ter­ent­wi­ckelt.

Auf der Suche nach ge­eig­ne­ten Platt­for­men für die Ver­brei­tung nicht ge­gen­ständ­li­cher Kunst wurde auch nach einer Er­satz­be­zeich­nung für die ‚ab­s­trak­te‘ Kunst ge­sucht, d.h. für eine Kunst, deren Ab­s­trak­ti­on nicht vom Ge­gen­stand aus­geht. An­fang der 1930er Jah­ren wurde in Paris der Be­griff ‚art non fi­gu­ra­tif‘ ver­wen­det, wie auch der Un­ter­ti­tel der Zeit­schrift Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on lau­te­te. Die Grup­pe Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on zeich­ne­te sich nicht nur da­durch aus, dass ver­schie­de­ne Na­ti­o­na­li­tä­ten und Al­ters­grup­pen aktiv waren, son­dern auch durch ihre Viel­falt. Die äl­te­re Ge­ne­ra­ti­on bot den Jün­ge­ren aus­drü­ck­lich eine Platt­form. Zu den Künst­ler*in­nen, die sich an der De­bat­te be­tei­lig­ten, zähl­ten unter an­de­rem Hans Arp, Theo van Does­burg und Piet Mon­dri­an sowie Ver­tre­ter der neuen Ge­ne­ra­ti­on wie Max Bill.

Arp und Bill äus­ser­ten sich auch in pro­gram­ma­ti­schen Schrif­ten zum Thema. Arp ver­öf­fent­lich­te sei­nen be­rühm­ten Text Kon­kre­te Kunst und schrieb:

«Wir wol­len nicht die Natur nach­ah­men. Wir wol­len nicht ab­bil­den, wir wol­len bil­den. Wir wol­len bil­den, wie die Pflan­ze ihre Frucht bil­det, und nicht ab­bil­den. Wir wol­len un­mit­tel­bar und nicht mit­tel­bar bil­den. Da keine Spur von Ab­s­trak­ti­on in die­ser Kunst vor­liegt, nen­nen wir sie kon­kre­te Kunst.»

Hans Arp: «Kon­kre­te Kunst», in: Un­sern täg­li­chen Traum, Zü­rich 1955, S. 79.

Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on ver­such­te, alle Kräf­te der ge­gen­stands­lo­sen Kunst zu bün­deln. Teile der Grup­pe waren sehr ‹an­ti­sur­re­a­lis­tisch› ein­ge­stellt, was dazu führ­te, dass Arp und Taeu­ber-Arp die Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on 1934 wegen Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten ver­lies­sen. Trotz un­ter­schied­li­cher An­sät­ze ver­folg­te man mit der Her­aus­ga­be von Pu­bli­ka­ti­o­nen und der In­iti­ie­rung wich­ti­ger Ausstel­lun­gen die glei­chen Ziele.

Die vier­zig Jahre spä­ter ent­stan­de­ne Mappe aus dem Jahr 1970 ent­hält Dru­cke von 30 Ver­tre­ter*in­nen der Grup­pe Ab­s­trac­ti­on Créa­ti­on. Das Port­fo­lio ver­sucht, den ur­sprüng­li­chen Ein­druck der oft un­zu­gäng­lich ge­wor­de­nen Werke wie­der­zu­ge­ben und so die äs­the­ti­schen Ab­sich­ten, die die Künst­ler und Künst­le­rin­nen jener Jahre in ihren Wer­ken zum Aus­druck brach­ten, le­ben­dig wer­den zu las­sen.

Raum 4

State­ment-Ausstel­lun­gen

Neben den ge­mein­sa­men Map­pen­wer­ken waren auch Ausstel­lun­gen wich­ti­ge Platt­for­men für die Ver­brei­tung der un­ge­gen­ständ­li­chen Kunst, ge­ra­de weil Mu­se­en bis heute eine wich­ti­ge Rolle bei der Frage spie­len, was als Kunst gilt. We­ge­wei­send waren in die­sem Zu­sam­men­hang die bei­den Ausstel­lun­gen zur ‹kon­kre­ten Ge­stal­tung›, die 1935 im Kunst­mu­se­um Lu­zern unter dem Titel These, An­ti­the­se, Syn­the­se und 1936 im Kunst­haus Zü­rich unter dem Titel Zeit­pro­ble­me in der Schwei­zer Ma­le­rei und Plas­tik ge­zeigt wur­den.

Die In­itia­ti­ve zur Ausstel­lung im Kunst­mu­se­um Lu­zern, die vom 24. Fe­bru­ar bis 31. März 1935 statt­fand, ging vom Lu­zer­ner Maler Hans Erni aus, der zu­sam­men mit an­de­ren Kunst­schaf­fen­den der Pa­ri­ser Grup­pe Ab­s­trac­ti­on-Créa­ti­on na­he­stand. Die in­ter­na­ti­o­na­le Ausstel­lung um­fass­te Werke von 22 Avant­gar­de­künst­lern und -künst­le­rin­nen ver­schie­de­ner Stil­rich­tun­gen und ver­ein­te u.a. die kon­kre­te, ab­s­trak­te und sur­re­a­lis­ti­sche Kunst. Unter den aus­ge­stell­ten Kunst­schaf­fen­den waren So­phie Taeu­ber-Arp, Hans Arp, Ge­or­ge Braque, Pablo Pi­cas­so, Juan Gris, Gior­gio de Chi­ri­co, Was­si­ly Kand­ins­ky, Paul Klee, Fer­nand Leger, Joan Miro, Piet Mon­dri­an sowie Alex­an­der Cal­der, Hans Erni und Al­ber­to Gia­co­met­ti. Auch die kon­kre­te Plas­tik Tête et co­quil­le – Kopf und Mu­schel (1933) von Hans Arp war in der Ausstel­lung zu sehen.

Die Ausstel­lung Zeit­pro­ble­me in der Schwei­zer Ma­le­rei und Plas­tik, die vom 13. Juni bis 22. Juli 1936 im Kunst­haus Zü­rich statt­fand, lenk­te die Auf­merk­sam­keit auf die Avant­gar­de in der Schweiz und schlug eine Brü­cke zum Kunst­zen­trum Paris. Die Ver­bin­dung zu Paris be­stand vor allem durch den Aus­tausch von Künst­le­rin­nen und Künst­lern wie Hans Arp, So­phie Taeu­ber-Arp, Max Bill, Le Cor­bu­si­er und Leo Leu­p­pi. Im Zen­trum stand die kon­kre­te Ge­stal­tung, die Max Bill im Ausstel­lungs­ka­ta­log be­schrieb als 

«jene ge­stal­tung, wel­che aus ihren ei­ge­nen mit­teln und ge­set­zen ent­steht, ohne diese auf äus­se­ren na­tur­er­schei­nun­gen ab­lei­ten oder ent­leh­nen zu müs­sen. die op­ti­sche ge­stal­tung be­ruht somit auf farbe, form, licht, be­we­gung.»

Max Bill: Kon­kre­te Ge­stal­tung, in: Ausst.Kat. Zeit­pro­ble­me in der Schwei­zer Ma­le­rei und Plas­tik, Zü­rich: Kunst­haus Zü­rich, 1936, S. 9.

Von Max Bill war die Ma­le­rei -va­ria­ti­o­nen (1934) Teil der Ausstel­lung und von So­phie Taeu­ber Arp zwei Com­po­si­ti­o­nen und zwei Re­li­efs. Stell­ver­tre­tend wird hier das Werk Cer­cles mou­ve­mentés (1934) und die dy­na­mi­sche Kom­po­si­ti­on mit der An­ord­nung un­re­gel­mäs­sig ge­setz­ter fa­r­bi­ger Krei­se Kom­po­si­ti­on mit fünf Krei­sen, Qua­drat und Recht­eck (1931) ge­zeigt.

Raum 5

Platt­for­men der Avant­gar­de Be­we­gun­gen

Neben Ausstel­lun­gen wur­den Bü­cher, Map­pen­wer­ke und Ma­ga­zi­ne zu wich­ti­gen Platt­for­men für die Künst­ler*in­nen der 1930er und 40er Jahre. Im Span­nungs­feld der in­ter­na­ti­o­na­len Avant­gar­de und vor dem Hin­ter­grund der zu­neh­men­den Ab­leh­nung mo­der­ner Kunst durch den Na­ti­o­nal­so­zi­a­lis­mus ent­stan­den neue kol­lek­ti­ve For­men der Kom­mu­ni­ka­ti­on und des Aus­tauschs. Diese von den Kunst­schaf­fen­den selbst in­iti­ier­ten Netz­wer­ke wer­den in die­sem Raum durch eine Aus­wahl wich­ti­ger Do­ku­men­te ver­an­schau­licht.

Vor und wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs ver­lies­sen viele Künst­le­rin­nen und Künst­ler Eu­r­o­pa. Der zu­neh­men­de Exis­tenz­kampf und die Ver­fe­mung mo­der­ner Kunst, die unter an­de­rem durch die na­ti­o­nal­so­zi­a­lis­ti­sche Pro­pa­gan­daausstel­lung «Ent­ar­te­te Kunst» von 1937 ge­schürt wurde, ver­schärf­ten die Be­din­gun­gen für die avant­gar­dis­ti­sche Kunst­pro­duk­ti­on. Zahl­rei­che Kunst­schaf­fen­de, dar­un­ter Arp, Taeu­ber-Arp und Bill, be­müh­ten sich je­doch, den Aus­tausch der Avant­gar­de-Be­we­gun­gen auch über den At­lan­tik hin­weg und gegen alle Wi­der­stän­de auf­recht­zu­er­hal­ten. Diese Künstler­grup­pen ver­stan­den sich als kämp­fe­ri­sche Ge­mein­schaf­ten, die für die neu­es­ten künst­le­ri­schen Strö­mun­gen ein­tra­ten.

Im An­schluss an die Ausstel­lung Zeit­pro­ble­me in der Schwei­zer Ma­le­rei und Plas­tik von 1936 im Kunst­haus Zü­rich grün­de­te Leo Leu­p­pi 1937 die Grup­pe Al­li­anz – Ver­ei­ni­gung mo­der­ner Schwei­zer Künst­ler. Die Al­li­anz war eine der be­deu­tends­ten Grup­pie­run­gen in der Schweiz und ver­ein­te sur­re­a­lis­ti­sche und kon­struk­tiv-kon­kre­te Kunst­schaf­fen­de, die wegen der wach­sen­den Ab­leh­nung der mo­der­nen Kunst in den Nach­ba­r­län­dern in die Schweiz zu­rück­ge­kehrt waren. Es ent­stand eine Ver­ei­ni­gung von Künst­lern und Künst­le­rin­nen, die sich mit der kul­tu­rel­len und po­li­ti­schen Iso­la­ti­on in der Schweiz zur Zeit des Drit­ten Rei­ches aus­ein­an­der­setz­te. Mit­glie­der waren u.a. Max Bill, Hans Arp, So­phie Taeu­ber-Arp oder Verena Loe­wens­berg. Die Al­li­anz po­si­tio­nier­te sich auch als In­ter­es­sens­ge­mein­schaft von Kunst­schaf­fen­den, die nicht der of­fi­zi­el­len Künst­ler­ver­ei­ni­gung Ge­sell­schaft Schwei­ze­ri­scher Maler, Bild­hau­er und Ar­chi­tek­ten GSMBA an­ge­hör­ten, und för­der­te ihre Mit­glie­der ins­be­son­de­re durch die Ausstel­lun­gen Neue Kunst in der Schweiz 1938 in der Kunst­hal­le Basel, Al­li­anz 1942 sowie 1947 im Kunst­haus Zü­rich und 1954 im Helm­haus Zü­rich.

Auch ge­mein­sa­me Pu­bli­ka­ti­o­nen wur­den zu wich­ti­gen Platt­for­men. So för­der­te die Über­sichts­pu­bli­ka­ti­on Al­ma­nach neuer Kunst in der Schweiz von 1940 die Be­kannt­heit der Grup­pen­mit­glie­der. Hinzu kamen die Ak­ti­vi­tä­ten des von Max Bill 1941 ge­grün­de­ten Al­li­anz-Ver­lags. Die vom Al­li­anz-Ver­lag her­aus­ge­ge­be­nen Map­pen­wer­ke und Künst­ler*in­nen­bü­cher wie Les der­ni­ers 9 dess­ins de So­phie Taeu­ber-Arp (1943) oder das vom Al­li­anz-Ver­lag ver­trie­be­ne Poè­mes sans prénoms (1941) von So­phie Taeu­ber-Arp waren wich­ti­ge Mit­tel zur För­de­rung und Ver­brei­tung der Werke der Mit­glie­der.

Raum 6

Max Bill. The­men und Va­ria­ti­o­nen

Max Bill war ein ein­fluss­rei­cher Be­grün­der der Be­we­gung der Kon­kre­ten Kunst, nicht nur durch seine viel­sei­ti­ge Kar­rie­re als Bild­hau­er, Maler, In­dus­trie- und Gra­fik­de­si­g­ner, son­dern auch als Schrift­stel­ler, Wis­sen­schaft­ler und Leh­rer. Bill ab­sol­vier­te ab 1924 zu­nächst eine Aus­bil­dung zum Sil­ber­schmied an der Kunst­ge­wer­be­schu­le in Zü­rich, bevor er ab 1927 für zwei Jahre Ar­chi­tek­tur am Bau­haus in Des­sau stu­dier­te. Dort lehr­ten Josef Al­bers, Was­si­ly Kand­ins­ky, Paul Klee, Lász­ló Mo­ho­ly-Nagy und Oskar Schlem­mer – eine mit­prä­gen­de und rich­tungs­wei­sen­de Zeit für den jun­gen Max Bill. Im Jahr 1929 kehr­te Bill in die Schweiz zu­rück und liess sich in Zü­rich nie­der. Er ar­bei­te­te zu­nächst als Ar­chi­tekt, wid­me­te sich dann aber zu­neh­mend der Ma­le­rei, der Plas­tik und der Pro­dukt­ge­stal­tung. An­ge­regt durch die Über­le­gun­gen des Künst­lers Theo van Does­burg, for­mu­lier­te Bill die Prin­zi­pi­en der Kon­kre­ten Kunst, indem er Ma­the­ma­tik und Geo­me­trie in sei­nem Werk an­wen­de­te.

quin­ze va­ria­ti­ons sur un même thème (1935–38) zeigt Max Bills Aus­ein­an­der­set­zung mit der se­ri­el­len Va­ria­ti­on. Bei den fünf­zehn Stu­di­en han­delt es sich um die Über­füh­rung eines gleich­sei­ti­gen Drei­ecks in ein gleich­sei­ti­ges Acht­eck, das sich bei gleich­blei­ben­der Sei­ten­län­ge nach aus­sen hin durch wei­te­re Öff­nun­gen der Win­kel spi­ra­l­för­mig ab­wi­ckelt. Da­hin­ter steht, laut Bill, die Er­kennt­nis,

«[…] dass sich viele Kunst­freun­de nicht klar sind über die Ent­ste­hung von Kunst­wer­ken und über den in­ne­ren und äus­se­ren Auf­bau».

Ausst.Kat.: Max Bill – das druck­gra­fi­sche Werk bis 1968, Kunst­hal­le Nürn­berg, 15. De­zem­ber 1968 – 19. Ja­nu­ar 1969, Nr. 9–24.

Raum 7

Kon­kre­te Kunst

Im An­schluss an die Räume 4 und 5, wer­den hier Werke ge­zeigt, die in wich­ti­gen Ausstel­lun­gen im Um­feld der Al­li­anz zu sehen waren. Die Grup­pe Al­li­anz ver­ein­te zwi­schen 1937 und 1954 Künst­ler*in­nen aus allen Lan­des­tei­len der Schweiz und aus sämt­li­chen für die Mo­der­ne ste­hen­den Kunst­rich­tun­gen. Hans Arp schloss sich 1937 der Al­li­anz an.

Hans Arps Holz­schnit­te und Re­li­efs nah­men seit 1917 zu­neh­mend or­ga­ni­sche For­men an, die vom Treib­gut des Lago Mag­gio­re in­spi­riert waren und in bio­mor­phen Skulp­tu­ren und Holz­re­li­efs, wie Zeu­gungs­me­to­pe / Som­mer­me­to­pe (1946), ihren Aus­druck fan­den. Das Werk glie­dert sich rhyth­misch in Po­si­tiv- und Ne­ga­tiv­tei­le und hat einen raum­be­le­ben­den und ord­nen­den Cha­rak­ter. Spä­ter ent­stan­den ver­mehrt Re­li­efs mit ar­chi­tek­to­ni­schem Bezug. Die Me­to­pe er­in­nert an Arps frühe Col­la­gen, die be­reits das Geo­me­tri­sche mit dem Or­ga­ni­schen ver­ban­den. Auf­fäl­lig sind die Krei­se, die als Form in Arps Werk sel­ten vor­kom­men und stark an die Ar­bei­ten von So­phie Taeu­ber-Arp er­in­nern. 1947 wurde das Re­li­ef in der Ausstel­lung Al­li­anz im Kunst­haus Zü­rich ge­zeigt.

Als Maler und Gra­fi­ker be­schäf­tig­te sich Bill mit Linie, Flä­che, Farbe und Kom­po­si­ti­on. Dabei in­ter­es­sier­ten ihn bei­spiels­wei­se die Tei­lung oder Grup­pie­rung von Li­ni­en, die Ge­gen­sätz­lich­keit von Fa­r­ben sowie die Form, Geo­me­trie und der Rhyth­mus von Flä­chen, oder die Va­ria­ti­on einer Kom­po­si­ti­on – etwa durch Dre­hung. Die sys­te­ma­ti­sche Or­ga­ni­sa­ti­on sei­ner Ge­mäl­de und Druck­gra­fi­ken ver­hin­der­te eine per­sön­li­che Hand­schrift, was auch in den ra­ti­o­na­len Werk­ti­teln wie in Kon­struk­ti­on mit 12-tei­li­gem Zen­trum (1941) zum Aus­druck kommt.

Raum 8

Hans Arp. Kon­fi­gu­ra­ti­o­nen

Hans Arps Werk steht zwi­schen Dada, Sur­re­a­lis­mus und kon­kre­ten Kunst. Seine Plas­ti­ken schuf er von innen her­aus als or­ga­ni­sche Ur­for­men. Sein ‘Bio­mor­phis­mus’ fand in ve­ge­ta­ti­ven For­men einen Aus­druck für das Un­sicht­ba­re und für das Geis­ti­ge in der Kunst.

Max Bill be­zeich­net Arps Holz­schnit­te in 11 con­fi­gu­ra­ti­ons (1945) als ‹form-idee›, die sich jeder Deu­tung als nicht fass­ba­re Land­schaf­ten ent­zie­hen:

«die flies­sen­den li­ni­en schei­nen wie zu­fäl­lig ent­stan­den, ihren un­be­stimmt-be­stimm­ten weg kön­nen wir deu­ten gleich ab­gren­zun­gen zwi­schen un­ge­se­he­nem land und was­ser das jenes über­schwemmt hatte und sich nun wie­der

davon ent­fernt, wobei der be­trach­ter sich weit ab vom ge­sche­hen be­fin­det und den vor­gang lei­den-schafts­los über­blickt. es sind bil­der un­be­kann­ter ge­gen­stän­de, un­be­kann­ter land­schaf­ten, un­be­kann­ter funk­ti­o­nen.»

Max Bill in: 11 con­fi­gu­ra­ti­ons, Zü­rich 1945, nicht pa­gi­niert.

Im Ver­lags­pro­spekt des Al­li­anz-Ver­lags wird für An­fang 1943 die Chro­nik arp: 10 con­fi­gu­ra­ti­ons (Raum 5) mit Holz­schnit­ten aus den Jah­ren 1917 bis 1942 an­ge­kün­digt. Wegen des tra­gi­schen Todes von So­phie -Taeu­ber-Arp wurde das Pro­jekt ver­scho­ben. Arp, den seit 1915 eine in­ten­si­ve künst­le­ri­sche Zu­sam­me­n­a­r­beit mit -Taeu­ber-Arp ver­band, er­hol­te sich lange nicht von die­sem Schick­sals­schlag. Erst am 13. Sep­tem­ber 1943 kam es zu einer Ei­ni­gung zwi­schen Arp und dem von Bill ver­tre­te­nen Al­li­anz-Ver­lag, die von einem zwei­sei­ti­gen Brief Bills be­glei­tet wurde. 1945 er­schien schliess­lich die er­gänz­te Edi­ti­on arp: 11 con­fi­gu­ra­ti­ons in einer Auf­la­ge von 200 Ex­em­pla­ren. Der Bil­d­um­fang war in der Zwi­schen­zeit um eine con­fi­gu­ra­ti­on an­ge­wach­sen.

Eine Aus­wahl aus dem Brief­wech­sel zwi­schen Arp und Bill er­mög­licht einen Ein­blick in die Zu­sam­me­n­a­r­beit bei der Ent­ste­hung von 11 con­fi­gu­ra­ti­ons.

Raum 9

Der Al­li­anz-Ver­lag pu­bli­zier­te einen Al­ma­nach, Bü­cher, Gra­fik und Map­pen­wer­ke zu er­schwing­li­chen Prei­sen. 10 Ori­gin wurde 1942 her­aus­ge­ge­ben und be­in­hal­tet 10 Blät­ter, Holz- und Li­n­ol­schnit­te von in­ter­na­ti­o­na­len und schwei­ze­ri­schen Künst­ler*in­nen. Er­gänzt wird das Port­fo­lio durch kurze pro­gram­ma­ti­sche Texte von Arp, Bill, Kand­ins­ky und Ma­gnel­li, die in­mit­ten des Krie­ges deut­lich mach­ten, dass sie das kon­kre­te Kunst­werk als Ge­gen­po­si­ti­on zum Kunst­ver­ständ­nis und dem Schön­heits­ide­al der Na­ti­o­nal­so­zi­a­lis­ten ver­stan­den und ihm ein trans­for­ma­ti­ves Po­ten­ti­al zu­schrie­ben.

Die Mappe ent­hält Druck­gra­fi­ken vom Who’s who der Avant­gar­de: von Max Bill, Hans Arp, So­phie Taeu­ber-Arp, Al­ber­to Ma­gnel­li, Ge­or­ges Van­ton­ger­loo, Sonja De­lau­n­ay, Leo Leu­p­pi, Ri­chard Paul Lohse, César Do­me­la und Was­si­ly Kand­ins­ky. Wer sie be­trach­tet, er­fasst suk­zes­si­ve den Mo­ment der blatt­wei­sen Wahr­neh­mung mit dem spe­zi­fi­schen 'Ge­samt­klang', der sich aus der Ge­gen­über­stel­lung aller Gra­fi­ken in einer Mappe er­gibt.

Raum 10

Ausstellungsansicht Kunstmuseum Appenzell

Ausstellungsansicht Kunstmuseum Appenzell

AL­LI­ANZ-VER­LAG II

1941 er­schien die Mappe 5 con­struc­ti­o­nen+5 com­po­si­ti­o­nen mit zehn Ori­gi­nal­gra­fi­ken der Künst­le­rin­nen und Künst­ler der Al­li­anz: Max Bill, Serge Bri­gno­ni, Hans Erni, Hans Fisch­li, Hans Hin­ter­rei­ter, Max Huber, Leo Leu­p­pi, Verena Loe­wens­berg, Ri­chard Paul Lohse und So­phie Taeu­ber-Arp.

Die Map­pen­wer­ke waren künst­le­ri­sche und ver­le­ge­ri­sche Ge­mein­schafts­pro­duk­ti­o­nen, auf die trotz der Auf­lö­sung der Grup­pe in Fol­ge­pro­jek­ten immer wie­der Bezug ge­nom­men wird. Die Al­li­anz konn­te sich als ak­ti­ve Künst­ler­ver­ei­ni­gung bis Mitte der 1950er Jahre hal­ten. Die letz­te Ausstel­lung, wel­che be­reits einen re­tro­spek­ti­ven Cha­rak­ter hatte, fand 1954 im Helm­haus in Zü­rich statt. Die ver­schie­de­nen Grup­pie­run­gen, wie die Sur­re­a­lis­ten und die Zür­cher Kon­kre­ten, hat­ten sich von­ein­an­der ent­fernt. Ein po­li­ti­sches oder avant­gar­dis­ti­sches En­ga­ge­ment, wie es wäh­rend des Krie­ges not­wen­dig ge­we­sen war, gab es nicht mehr, und ent­spre­chend auch keine ge­mein­sa­men künst­le­ri­schen Ziele mehr. Die Avant­gar­de hatte sich längst wie­der re­ha­bi­li­tiert, die Sur­re­a­lis­ten ver­lo­ren an Boden und die kon­struk­ti­ve und kon­kre­te Kunst wurde von einer Reihe jun­ger Kunst­schaf­fen­der mit neuen Im­pul­sen be­lebt.

Raum 11

So­phie Taeu­ber-Arp Plas­ti­que Pla­stic / Paris – New York – Zü­rich

In die­sem Raum ist die Zeit­schrift Plas­ti­que Pla­stic mit ihrem Um­feld ver­tre­ten. Zu­sam­men mit César Do­me­la, A. E. Gal­la­tin und L. K. Mor­ris grün­det So­phie Taeu­ber-Arp 1937 die in­ter­na­ti­o­na­le Kunst­zeit­schrift Plas­ti­que Pla­stic.

Zwi­schen 1935 und 1939 er­schie­nen fünf Aus­ga­ben der Zeit­schrift, die mass­ge­blich von So­phie Taeu­ber-Arp ge­prägt wur­den. Wie in den Künst­ler­ver­ei­ni­gun­gen ging es auch hier um die Ver­net­zung der Künst­ler*in­nen und ihrer Un­ter­stüt­zer*in­nen. Die Zeit­schrift för­der­te auch den trans­at­lan­ti­schen Aus­tausch der kon­struk­ti­ven Avant­gar­de zu einer Zeit, als viele Kunst­schaf­fen­de Eu­r­o­pa be­reits den Rü­cken ge­kehrt hat­ten.

Die künst­le­ri­schen Netz­wer­ke, in denen Taeu­ber-Arp als ak­ti­ves Mit­glied der zuvor ge­nann­ten Künst­ler­ver­ei­ni­gun­gen agier­te, er­wie­sen sich als äus­serst wert­voll für die Be­schaf­fung von Ab­bil­dun­gen und Tex­ten. Die Zeit­schrift ver­band die Kunst­sze­nen in New York und Paris und war zu­gleich ein Sprach­rohr für die vom Fa­schis­mus ver­folg­ten Künst­ler*in­nen in Eu­r­o­pa. Der Aus­bruch des Zwei­ten Welt­kriegs führ­te zur Ein­stel­lung der Zeit­schrift. So­phie Taeu­ber-Arp plan­te je­doch eine sechs­te Aus­ga­be und woll­te Plas­ti­que Pla­stic zu­sam­men mit Max Bill in der Schweiz wie­der auf­le­ben las­sen. Lei­der konn­te die Künst­le­rin diese Idee nicht mehr ver­wirk­li­chen, da sie 1943 wäh­rend einer Über­nach­tung in Max Bills Haus in Zü­rich un­er­war­tet an einer Koh­len­mon­oxid­ver­gif­tung starb.

Die von Max Bill ent­wi­ckel­ten Ent­wür­fe für Num­mer 6 wer­den hier erst­mals in einer Ausstel­lung ge­zeigt. Die be­glei­ten­de Pu­bli­ka­ti­on be­leuch­tet den Heft­ent­wurf und den skiz­zier­ten In­halt an­hand von bis­her un­ver­öf­fent­lich­ten Do­ku­men­ten und Maquet­ten.

Ei­ni­ge der Re­li­efs, die So­phie Taeu­ber-Arp zwi­schen 1936 und 1938 schuf, sind auf «recht­e­cki­ger Grund­flä­che mit aus­ge­schnit­te­nen, auf­ge­setz­ten oder in den Raum hin­ein­ra­gen­den geo­me­tri­schen For­men» auf­ge­baut, wie Hans Arp nach dem Tod So­phie Taeu­ber-Arps über ihr Werk schrieb:

«Das Re­li­ef, wel­ches wir ‹Mu­schel­rüs­tung› nann­ten, ein Re­li­ef auf recht­e­cki­gem, weiss-be­mal­tem Grund mit auf­ge­setz­ten, weiss­be­mal­ten, schwin­gen­den For­men, ist voll­kom­me­ne Schön­heit. Das Wort Schön­heit be­kommt durch sol­che Werke wie­der einen leben-digen Sinn. Die­ses Re­li­ef ent­steht in der Zeit, da So­phie Taeu­ber für mein Ge­dicht­buch‚ mu­scheln und schir­me‘ die Me­ta­mor­pho­sen von Vasen, Blät­tern und
Mu­scheln zeich­net.»

Hans Arp, in: Zwei­klang, hrsg. v. Ernst Schei­deg­ger, Zü­rich: Ver­lag Die Arche, 1960, S. 52–53.

Impressum / Imprint

KU­RA­TO­RIN­NEN 
Ste­fa­nie Gschwend (Di­rek­to­rin Kunst­mu­se­um / Kunst­mu­se­um Ap­pen­zell), Si­mo­na Mar­ti­no­li (Di­rek­to­rin Fon­da­zio­ne Mar­gue­ri­te Arp, Lo­car­no)

KÜNST­LE­RISCH-KU­RA­TO­RI­SCHER AUS­TAUSCH
Chris­ti­an Meier, Chris­ti­an Hör­ler

AUSSTEL­LUNGS­UM­BAU
Chris­ti­an Hör­ler, Chris­ti­an Meier, Ueli Alder, Ca­ri­na Kirsch, Raoul Doré, Bea Dörig, Va­nes­sa Heer

OR­GA­NI­SA­TI­ON
Re­gi­na Brü­li­sau­er, Ste­fa­nie Gschwend, Clau­dia Reeb

KUNST­VER­MITT­LUNG
Anna Beck-Wör­ner

BE­SU­CHER*IN­NEN­BE­TREU­UNG
Ra­pha­e­la Böhi, Do­mi­ni­que Fran­ke, Mar­grit Gmün­der, Ro­swi­tha Gobbo, Ian Groll, Mar­grit Küng, Jana Lo­cher, Ba­r­ba­ra Metz­ger, Cris­ti­na Mosti, Ma­dlei­na Ru­tis­hau­ser, Me­la­nie Scher­rer

HER­AUS­GE­BER
TEXT Ste­fa­nie Gschwend, Clau­dia Reeb
WAND­TEX­TE Silke Ba­le­mi, Il­la­ria Ma­ly­gu­i­ne, Si­mo­na Mar­ti­no­li

CRE­DITS
Ausstel­lungs­an­sicht, Al­li­an­zen. Arp / Taeu­ber-Arp / Bill, Kunst­mu­se­um Ap­pen­zell, 2024

PHO­TOS
Ueli Alder

GRA­FIK
Data-Orbit / Mi­chel Egger, St.Gal­len

DANK
Chan­tal und Jakob Bill, Fon­da­zio­ne Mar­gue­ri­te Arp, Ga­le­rie Haas Zü­rich, Mu­se­um für Ge­stal­tung / Kunst­ge­wer­be­samm­lung, Pla­kat­samm­lung der Schu­le für Ge­stal­tung Basel, Heinz Stamm, Zür­cher Hoch­schu­le der Küns­te / Ar­chiv ZHdK und Leih­ge­ber*in­nen, die nicht na­ment­lich ge­nannt wer­den möch­ten / and len­ders who wish to re­main an­ony­mous.

DIE AUSSTEL­LUNG WURDE FREUND­LICH UN­TER­STÜTZT VON
Su­san­ne und Mar­tin Knecht­li-Kra­dol­fer-Stif­tung
Stei­negg Stif­tung
Hans und Wilma Stutz Stif­tung
Ber­told Suh­ner Stif­tung
Dr. Fred Sty­ger Stif­tung

Arp / Taeuber-Arp / Bill
Allianzen
Kunstmuseum
Ausstellungsansicht Kunstmuseum Appenzell

Ausstellungsansicht Kunstmuseum Appenzell

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