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Einleitung

Alice Channer (*1977, Oxford, UK, lebt und arbeitet in London, UK) untersucht in ihren Skulpturen Beziehungen zwischen Materialien, Körpern, Maschinen und industriellen oder technologischen Verfahren. Sie kombiniert ihre hochindustrialisierten Objekte lustvoll mit der menschlichen Geste oder natürlichen Spuren, wie körperlichen oder geologischen Überresten.

Die Ausstellung Heavy Metals / Silk Cut erstreckt sich über die zwei Gebäude des Kunstmuseums und der Kunsthalle Appenzell. Es werden mehrere neue Werke gezeigt, darunter auch eine architektonische Intervention, die mit einem Überblick über Skulpturen, Zeichnungen und Installationen aus dem letzten Jahrzehnt ergänzt werden.

Alice Channer giesst, biegt oder faltet Stoffe, zeichnet mit Zigarettenasche und manifestiert in ihren Erkundungen von Materialien und Prozessen die verborgenen Dimensionen der materiellen Welt. Sie bietet einen Blick auf das, was jenseits der Kategorien und Annahmen liegt, die unsere Wahrnehmung von Objekten und unsere Beziehung zu ihnen prägen. Channers Werke bestehen aus geologischen und natürlichen Materialien oder Repräsentationen natürlicher Elemente, wie beispielsweise Muschelschalen, Fingern oder Steinen. Diese verwandelt die Künstlerin in tiefgreifenden, synthetischen Verfahren, oft in professionellen Fabrikationsstätten, die nichts mit der Produktion von Kunst zu tun haben, wie zum Beispiel Anlagen für Farbbeschichtung oder die chemische Industrie. So beauftragte sie beispielsweise das Vakuummetallisieren der Hüllen von Seespinnen und Taschenkrebsen und liess die authentische Körperlichkeit dieser Objekte mit dem Resultat identischer, rhythmischer und mechanischer Arbeitsschritte kollidieren. Industrielle Herstellungsweisen, wie die Präzisionstechnik von CNC-Fräsen, mit der Aluminium in die gewünschte Form gebracht wird, oder Couture-Techniken, um Bilder geologischer Schichten in schwerem Crêpe de Chine zu falten, sind formgebend. Channer stellt Organisches und Künstliches, Biologisches und Industrielles schonungslos nebeneinander und baut die Spuren von Produktionsprozessen in die Sprache ihrer Skulpturen ein. Sie konfrontiert nicht nur ihre künstlerische Handschrift mit der kalten Ästhetik mechanischer Formung, sondern verweist mit diesen verführerischen und gleichzeitig brüchigen Exoskeletten auf die Fragilität der Ökologie.

Kunstmuseum: Raum 1

Starship (Super Heavy), 2022 / 
Bearbeiteter Kalkstein, hochglanzpolierter Aluminiumguss im Wachsausschmelzverfahren, verchromtes, dampfgestrahltes, maschinell bearbeitetes und sandgegossenes Aluminium, Kreppsatinseide mit Akkordeon-Falten, lasergeschnittener und hochglanzpolierter Edelstahl / 

135 × 135 × 5 cm; 120 × 120 × 9 cm; 130 × 130 × 11 cm / 
Foto: Fred Dott

Starship (Super Heavy), 2022 / 

Bearbeiteter Kalkstein, hochglanzpolierter Aluminiumguss im Wachsausschmelzverfahren, verchromtes, dampfgestrahltes, maschinell bearbeitetes und sandgegossenes Aluminium, Kreppsatinseide mit Akkordeon-Falten, lasergeschnittener und hochglanzpolierter Edelstahl /

135 × 135 × 5 cm; 120 × 120 × 9 cm; 130 × 130 × 11 cm /

Foto: Fred Dott

Die scheibenförmige Skulptur Starship (Super Heavy)(2022) wurde aus Portland-Stein, der an der Juraküste in Dorset, England, abgebaut wird, gefertigt und ihre poröse Oberfläche ist von den Fossilien alter Meeresbewohner gekennzeichnet. In manche Einbuchtungen der speerspitzenförmigen Abdrücke von Turmschnecken wurde glänzendes Aluminium eingegossen, in eine der runden Vertiefungen ist roter Kreppsatin, der sich wie ein Akkordeon zusammenfaltet, eingearbeitet und in zwei weiteren sind Ammoniten aus Aluminium platziert. Wie Relikte von Lebewesen, welche die geologische Zeit überdauert haben, fügen sich diese gegensätzlichen Fragmente zu einem Ganzen.Die Arbeit vereint verschiedene Materialen, natürliche und von Menschenhand geschaffene. Auf der einen Seite gibt es die Organismen, die sich überJahrmillionen mit Kalkstein verbunden haben, und auf der anderen schafft die Künstlerin einen Bezug zu den synthetischen und industriellen Prozessen, aus denen der rote Stoff entstanden ist

Raum 2

Crustacean Satellites, 2018 / 
Vakuummetallisierte Spinnenkrabben (Maja brachydactyla) und Taschenkrebse (Cancer pagurus) auf Edelstahlvorrichtungen, PVC-beschichtete Stahlkabel, Halterungen / 

450 × 105 × 110 cm /
Foto: Stuart Whipps

Crustacean Satellites, 2018 /

Vakuummetallisierte Spinnenkrabben (Maja brachydactyla) und Taschenkrebse (Cancer pagurus) auf Edelstahlvorrichtungen, PVC-beschichtete Stahlkabel, Halterungen /

450 × 105 × 110 cm /

Foto: Stuart Whipps

Bei vielen Werken stehen geologische und natürliche Materialien oder Repräsentationen natürlicher Elemente, wie Muschelschalen oder Steinen, im Fokus. Diese verwandelt die Künstlerin in tiefgreifenden, synthetischen Verfahren, meist in professionellen Fabrikationsstätten industrieller Produktion. Bei Crustacean Satellites (2018) handelt es sich um vakuum-metallisierte und lackierte Seespinnen und Taschenkrebse. Sie sind einerseits ein Resultat identischer, industriell erzeugter, rhythmischer und mechanischer Produktionsschritte, andererseits werden von Menschenhand hinterlassene Spuren sichtbar.

Alice Channers Werke schliessen die Präsenz der Herstellenden stets mit ein. Dabei handelt es sich jedoch nicht unbedingt um die Künstlerin selbst, sondern auch um Fabrikangestellte, die am werkformenden Prozess beteiligt sind. Die Künstlerin kontrastiert Emotion mit maschineller Produktion und stellt den preziösen Exoskeletten die Aufhängevorrichtungen aus der Produktionsstätte auf Augenhöhe gegenüber. Immer wieder finden sich Stellen in den hochindustrialisierten Objekten, wo die natürlichen Strukturen belassen wurden, als wären sie zufällige, menschliche Gesten, körperliche oder geologische Überreste.

Raum 3 und 9

Rockpool, 2022 / 
Zwei Tonnen von aus der Mojave-Wüste gewonnenem Grobsalz, handgeformter, pulverbeschichteter und lackierter Stahl /
20 m × 6.43 m × 20 cm / 
Courtesy the artist and High Desert Test Sides / 
Foto: Sarah Lyon

Rockpool, 2022 /

Zwei Tonnen von aus der Mojave-Wüste gewonnenem Grobsalz, handgeformter, pulverbeschichteter und lackierter Stahl /

20 m × 6.43 m × 20 cm /

Courtesy the artist and High Desert Test Sides /

Foto: Sarah Lyon

Die Vielfalt an Materialien, Texturen und Techniken, mit denen die Künstlerin umgeht, überrascht. Die Werke kontrastieren in ihrem Glanz und ihrer Weichheit, Härte, Struktur, Farbe, Natürlich- oder Künstlichkeit. Das eigens für Channers Einzelausstellung in Appenzell produzierte Werk Rockpool (2023) ist eine horizontale Skulptur, die sich über zwei Räume des Kunstmuseums erstreckt und von einer Wand und einem Durchgang getrennt wird.

Rockpool ist eine provokativ artifizielle Skulptur. Ihr Titel erinnert an wässrige Pools am Meer, doch das Becken ist ausgetrocknet und gefüllt mit Salz. Die Künstlerin referenziert einerseits die Steinsalzgewinnung aus den uns umgebenden Schweizer Bergen, die wie Fabriken ein Produkt herstellen, und evoziert andererseits ausgetrocknete Gewässer und Ozeane. Die Reinheit des Salzes kontrastiert mit der Form der Skulptur, die einem Satellitenbild einer Ölpestlache entspricht. Bei der Ölkatastrophe der British-Petroleum-Deepwater-Horizon von 2010, liefen 134 Millionen Gallonen Öl in den Golf von Mexiko aus und verseuchten 1 300 Meilen Küstenlinie. Anstatt das Werk mit schwarzer Substanz zu füllen, versieht Channer es mit strahlend weissem Salz. Die Künstlerin verbindet zwei vermeintlich weit entfernte Ereignisse in einer Skulptur und konfrontiert damit unsere Wahrnehmung.

Der in der Ausstellung zu sehenden Skulptur ist eine Aussenversion vorhergegangen. Rockpool (2022) war Teil von High Desert Test Sites 2022: The Searchers (Group), Mojave Wüste, Südkalifornien, USA, 16. April – 29. Mai 2022.


Raum 4

Burial, 2016 / 
Aluminiumbronzeguss, Betonguss, Cortenstahlguss / 

Foto: Aurélien Mole

Burial, 2016 /

Aluminiumbronzeguss, Betonguss, Cortenstahlguss /

Foto: Aurélien Mole

Burial (2016) vereint unterschiedliche und massstabsgetreue Versionen eines Betonklumpens, den Channer in der Nähe ihres Studios in Ostlondon fand, wo Bau- und Abrissarbeiten an der Tagesordnung sind. Sie liess ihn 3D-scannen und mit einem Computerprogramm strecken. Die Grate auf den Objekten sind Spuren, die der Roboterarm hinterlassen hat, der verwendet wurde, um die Form aus einem Schaumstoffblock zu fräsen. Die Formen wirken seltsam organisch, ihre Oberflächen erinnern an Felsformationen, die im Laufe der Jahrtausende von der Wasserbewegung abgetragen wurden. Dabei sind die Skulpturen das Produkt technologischer und industrieller Prozesse. Sie bestehen aus Aluminiumbronze und Cortenstahl. Wie Titel und Form der Steine, die eine ähnliche Grösse wie der menschliche Körper haben, andeuten, verweisen sie auf die Endlichkeit des Menschen und erinnern an Sarkophage.

Raum 5

Linear Bivalves (Quintuple Green) (Detail), 2018 / 
Vakuummetallisierte und lackierte Muschelschalen auf massgefertigten Vorrichtungen / 
Foto: Roman März

Linear Bivalves (Quintuple Green) (Detail), 2018 /

Vakuummetallisierte und lackierte Muschelschalen auf massgefertigten Vorrichtungen /

Foto: Roman März

«Linear Bivalves (Quintuple Green) (2018) ist eine wandbasierte Arbeit, die aus dreissig vertikalen geradlinigen Stäben besteht, an denen in regelmässigen Abständen horizontal Muschelschalen befestigt sind, wie geordnete Blätter an einem Zweig. Die Stäbe sind als Dreiergruppen in zwei Reihen angebracht; in jeder Gruppe sind die ersten beiden ‹Zweige› silber und der dritte grün metallisiert. Dies verleiht dem Werk beim Lesen eine rhythmische Vibration, wie ein Scanner, der einen Barcode liest. In Channers Versuch, diese organischen Formen, die noch Spuren ihres Meereslebens tragen, industriell zu beschichten, liegt ein absurder Humor. Das schillernde Finish und die reglementierte Präsentation der Arbeit haben etwas Unheimliches an sich, das dem festlichen Eindruck zuwiderläuft.»

Auszug aus Zigaretten, Glamour und Schmutz im Werk von Alice Channer von Zoë Gray. Der Essay wurde für die monografische Ausstellungspublikation Alice Channer, hrsg. v. Kunstmuseum / Kunsthalle Appenzell, September 2023, in Auftrag gegeben.

Raum 6

Birthing Pool, 2019 / 
Plissierter Hightech-Lamé mit Akkordeon-Falten, Polyester-Satin mit Akkordeon-Falten, «Frauen Damen Tier Leopard Schlange PU PVC Wet Look glänzende Leggings Mode Hose neu» mit Akkordeon-Falten, «sexy Damen hohe Taille Wet Look skinny Leder Leggings Hose schwarz» mit Akkordeon-Falten, hochglanzpolierter Edelstahl, pelletiertes und recyceltes HDPE /
372 × 172 × 8.5 cm / Installation: Dimensionen variabel /

Foto: Tim Bowditch

Birthing Pool, 2019 /

Plissierter Hightech-Lamé mit Akkordeon-Falten, Polyester-Satin mit Akkordeon-Falten, «Frauen Damen Tier Leopard Schlange PU PVC Wet Look glänzende Leggings Mode Hose neu» mit Akkordeon-Falten, «sexy Damen hohe Taille Wet Look skinny Leder Leggings Hose schwarz» mit Akkordeon-Falten, hochglanzpolierter Edelstahl, pelletiertes und recyceltes HDPE /

372 × 172 × 8.5 cm / Installation: Dimensionen variabel /

Foto: Tim Bowditch

Am Ende des Gebäudes treffen wir auf eine horizontale, lang gezogene Plastik: Birthing Pool (2019). Der Raum ist gefüllt mit schwarzen Pellets aus recyceltem HDPE, einem aus Erdöl gewonnenen Polymer und allgegenwärtigen Rohstoff, der für die unterschiedlichsten Produkte von Plastiktüten bis Kinderspielzeug sowie der Automobil- oder Kosmetikindustrie verwendet wird. Die Betrachter*innen treten vollständig in das Perlenbad ein, können sich setzen und sich mit dem Material verbinden. Die Kügelchen, die im Laufe der Ausstellung kontinuierlich den Nebenraum verschmutzen, fühlen sich, trotzdem sie an Plastikmüll erinnern, erstaunlich angenehm an in ihrer kühlenden Eigenschaft.

Im wolkenartig geformten und lang gezogenen Edelstahlcontainer schichten und falten sich Textilien, bilden Schlaufen und Repetitionen. Das Volumen der vertikal eingebetteten Stoffe, die wie ein zusammengepresster Balg eines Akkordeons nach Luft schnappen, formt sich zum horizontalen Bild. Das Werk ist sowohl spielerisch als auch elegant, horizontal als auch vertikal, weich als auch hart. Die Skulptur ist den gigantischen Riesenseerosen nachempfunden, die sich durch ihre tellerförmigen Schwimmblätter auszeichnen. Im 19. Jahrhundert wurden die dekorativen Seerosengewächse, die auch toxische Eigenschaften haben und Atemlähmungen verursachen können, zu beliebten Sammler*innenstücken in botanischen Gärten. Auch die verführerische Kreation aus Farbe, Glanz und Oberflächenstruktur von Channer lässt ein Gefühl latenten Unbehagens aufkommen, wenn wir uns in das Meer von Plastikkügelchen setzen, im Wissen, dass das Mikroplastik nach der Lebensdauer von aus HDPE bestehenden Produkten in die Natur ausgeschieden werden wird.

Hinweis: Die rezyklierten HDPE-Pellets werden aufbewahrt und wiederverwendet.

Raum 7

Granite, 2015 / 
Digitaldruck auf schwerem Crêpe de Chine, gerahmt; maschinell bearbeiteter, gemeisselter und handpolierter Marmor / 

je 171.45 × 156.21 cm und 20 × 20 × 20 cm / 
Foto: Charles Benton

Granite, 2015 /

Digitaldruck auf schwerem Crêpe de Chine, gerahmt; maschinell bearbeiteter, gemeisselter und handpolierter Marmor /

je 171.45 × 156.21 cm und 20 × 20 × 20 cm /

Foto: Charles Benton

Viele der Materialien und Formen stammen aus dem Untergrund, wie Felsen, Fossilien, Metall oder Lava, und werden in den Werken an die Oberfläche geholt. Channer schafft in Granite und Concrete (beide 2015) eine spielerische Gegenüberstellung von Form und Material und stimuliert die Assoziationen der Betrachter*innen in einer Weise, die von den Surrealisten perfektioniert und von der Werbebranche übernommen wurde.

Die zwei Wandarbeiten zeigen einen Lavastrom, wobei das Abbild gedehnt und zerteilt wurde, bevor die Künstlerin es auf einen Stoff drucken liess. Das Bild wird überlagert von einem weiteren Bild, welches ein geripptes Kunststoffrohr aus der Gebäudetechnik zeigt und an eine Wirbelsäule erinnert. Die flachen Drucke werden ergänzt durch eine konkrete, dreidimensionale Kugel, die auf dem Boden liegt und so geschnitten ist, dass es wirkt, als würde das Objekt in den Boden einsinken. Die beiden Arbeiten verdeutlichen das Interesse der Künstlerin an Materialien und Körperlichkeit, die in einem prekären Zustand zwischen Natürlichkeit und Manipulation, Organischem und Künstlichem, Humanoidem und Maschinellem sowie Zwei- und Dreidimensionalität vibrieren.

Raum 8

Gills (2012) / 
Digitaldruck auf Spandex; Aluminium / 
216 × 197 × 37 cm, (fünfteilig) / 
Foto: Cary Whittier

Gills (2012) /

Digitaldruck auf Spandex; Aluminium / 

216 × 197 × 37 cm, (fünfteilig) /

Foto: Cary Whittier

Die mit Spandex umspannten Aluminiumrohre von Gills (2012) gleiten enganliegend die Wand empor, strecken sich in den Saal, bevor die Linie in einer beinahe unbeholfenen Bewegung durch den freien Raum schlängelt und wieder zurück in die geometrische Form findet. Die gebogenen Aluminiumrohre folgen dem Strich der Skizzen von Yves Saint Laurent für seine Le-Smoking-Anzüge, während das Spandex mit einem stark verzerrten Bild von Channers Arm bedruckt ist, das durch das Umwickeln um eine Stange zusätzlich verzerrt wird. Gills befasst sich mit dem Anthropomorphismus in Objekten und fragt, warum das Figürliche notwendigerweise eine menschliche Gestalt implizieren sollte.

Auch dieses Werk besteht aus einer flachen Oberfläche, welche die Künstlerin faltet, wölbt, dehnt und zusammenzieht, um skulpturale Aspekte von Volumen und Massstäblichkeit zu erkunden. Indem sie die Oberflächen, Materialien und Prozesse, die unsere postindustrielle Umgebung ausmachen, auf diese Weise untersucht, stellt sie die Frage, was es bedeutet, in Beziehung zu diesen flachen Orten verkörpert zu sein, seien diese technologisch, industriell, virtuell oder kommerziell.

Raum 10

Die Grate sind auch auf der Oberfläche von Megaflora (2021) vorhanden, einem gescannten und stark skalierten Brombeerstrauchzweig, der wie eine Säule im Raum steht. Es ist ein aus Aluminium sandgegossenes Denkmal für einen Organismus, der sich seinen Weg durch die Ritzen des urbanen, für pflanzliches Wachstum feindlichen Terrains bahnt. Die Verwandlung des Brombeerstrauchs in eine Plastik, auf deren Oberfläche die Prozessspuren und Grate sichtbar und erfahrbar bleiben, ist sowohl kraftvoll als auch gewalttätig. Die Monumentalität ist einschüchternd und die vergrösserten Dornen wirken wie Bedrohungen im Raum. Doch Megaflora ist auch ein einladendes Werk. Es bleibt innen hohl, ist eine sinnliche Einladung, näher hinzuschauen, als ob wir etwas sehen würden, das wir begehren. Channer kontrastiert in dieser Arbeit die Komplexität der natürlichen Welt mit den Prozessen der industriellen Produktion. Die Umformung der Lebensform in ein metallisches Objekt bildet in Bezug auf Material, Textur, Massstab und Gewicht weniger einen Verweis auf ein früheres Dasein, denn eine ontologische Neuverortung.

Megaflora, 2021 / 
Sandgegossenes Aluminium / 330 × 72 × 47 cm / 
Courtesy the artist und Large Glass, London / Foto: Kunstgiesserei St.Gallen

Megaflora, 2021 /

Sandgegossenes Aluminium / 330 × 72 × 47 cm /

Courtesy the artist und Large Glass, London / Foto: Kunstgiesserei St.Gallen

Raum 11

«Bei der Recherche zur Automobilherstellung entdeckte Channer, dass Reinigungswalzen aus Straussenfedern verwendet werden, um zwischen dem Auftragen von Lackschichten Staub von der Fahrzeugoberfläche zu entfernen. In Fabriken installiert sehen die Federn aus wie eine burleske Autowaschanlage; ihre weichen, dekadenten Formen drehen sich über die Dächer und Seiten der Fahrzeuge. Channer schickte mir das Vertriebs-PDF einer Firma in Deutschland zu, die diese Federn an High-End-Automobilhersteller liefert. Das Dokument erklärt, wie ‹die Straussenfedern durch speziell geschulte Mitarbeiterinnen mit silikonfreien Klebern von Hand verklebt› werden. Am Ende des Dokuments ist ein Foto von Frauen, die beim Karneval tanzen, bekleidet mit Strass-Bikinis und grossen roten Federn. Im Kontext der Automobilherstellung wurde den Federn eine erotische Mystik verliehen: ein Mythos des dekorativen und weichhändigen Weiblichen gegen das kühle, harte, männlich kodierte Äussere von Luxusautos. Bei den Arbeiten Body Shop und Cold Metal Bodies (beide 2023) hängen mit Federn bestückte Rundscheiben an einer Reihe von Metallketten von der Decke. In der Galerie wird den Scheiben Raum zum Atmen gegeben, die ihnen inhärenten Assoziationen – Erotik, Industrie, Luxus, Theatralik, Absurdität, Dubiosität – werden in die Atmosphäre des Raumes hineingeschmuggelt.» 

Auszug aus Die Nahttrennerin von Rosanna McLaughlin. Der Essay wurde für die monografische Ausstellungspublikation Alice Channer, hrsg. v. Kunstmuseum / Kunst-halle Appenzell, September 2023, in Auftrag gegeben.

«Mit seinem Bezug auf Polierverfahren der Automobilindustrie, die Straussenfedern zur hochpräzisen Reinigung verwenden, ist es sinnlich, verführerisch und spielerisch. Horizontal an schweren vertikalen Ketten aufgehängt, regen kreisförmige Scheiben aus Straussenfedern die Fantasie der Betrachtenden an und erinnern an den ungestümen Schwung von Schwanzfedern. Channers Arbeit beschwört cartoonartige Bilder der grossen Vögel herauf, die mit Luxusautos flirten, allerdings nicht ohne einen dunkleren Unterton der Begegnung zwischen dem Tier und dem Mechanischen (die für ersteres selten gut endet).»

Auszug aus Zigaretten, Schmutz und Glamour im Werk von Alice Channer von Zoë Gray. Der Essay wurde für die monografische Ausstellungspublikation Alice Channer, hrsg. v. Kunstmuseum / Kunsthalle Appenzell, September 2023, in Auftrag gegeben.

Fassade Kunstmuseum

Pangolin, 2023
UV-Digitaldruck auf den Storen des Kunstmuseums Appenzell / 
je 346.5 × 358 cm; 226 × 358 cm /
Heinrich Gebert Kulturstiftung Appenzell

Pangolin, 2023

UV-Digitaldruck auf den Storen des Kunstmuseums Appenzell / 

je 346.5 × 358 cm; 226 × 358 cm /

Heinrich Gebert Kulturstiftung Appenzell

Pangolin (2023) ist eine ortsspezifische und architektonische Intervention an den Fenstern des Kunstmuseums Appenzell, die nach einer Begegnung der Künstlerin mit einem Schuppentier im Naturmuseum St.Gallen benannt ist und gleichzeitig auf die geschuppte Fassade des Kunstmuseums reagiert. Die Bilder stammen von fotografierten Felsen der Crackington-Formation – einem bröckelnden und geologisch bedeutenden Teil der britischen Küste. Die Bilder werden digital manipuliert und verformt und danach mit einem Verfahren auf Seide appliziert, mit dem normalerweise Bekleidung bedruckt wird. Die in intensiven Orange- und dramatischen Braun- und Schwarztönen gefärbten Drucke werden dann gefaltet. Die Plissees überlagern den geologischen Körper und heben die Massstäblichkeit des Gesteins auf. Die plissierten Felsformationen werden wiederum fotografiert und auf einen Storenstoff gedruckt. Schliesslich werden sie zu einem Teil der Architektur. Man könnte sagen, die Storen kleiden das Museum in ein digitales Faltengewand, wobei man sich den panzerartigen Metallkörper des Kunstmuseums als Schuppentier vorstellen könnte, das modisch gekleidet in einer Landschaft aus alten Bergen liegt.

Wech­seln Sie das Ge­bäu­de, um den zwei­ten Teil der Ausstel­lung zu sehen:

Kunst­hal­le Ap­pen­zell
Zie­ge­leistras­se 14, 9050 Ap­pen­zell

Kunsthalle Raum 1

Soft Sediment Deformation (Iron Bodies), 2023 /
Tintenstrahldruck mit Opal-Falten auf und in schwerem Crêpe de Chine / 

Foto: Rob Harris

Soft Sediment Deformation (Iron Bodies), 2023 /

Tintenstrahldruck mit Opal-Falten auf und in schwerem Crêpe de Chine /

Foto: Rob Harris

Zu Beginn des zweiten Ausstellungsteils Silk Cut in der Kunsthalle steht die monumentale Seidenarbeit Soft Sediment Deformation (Iron Bodies) (2023), die einen Aussenbezug zur Landschaft, die durch das grosse Fenster zu sehen ist, und zu Pangolin an der Fassade des Kunstmuseums herstellt. Alice Channer nutzt eine spezielle Technik des Plissierens, die vorwiegend in der Modebranche verwendet wird, und bei der das manipulierte Textil durch Hitze und Druck dauerhaft in Falten gelegt wird. Der plissierte Stoff verhält sich beinahe wie eine Ziehharmonika, die sich um den Körper legt und ihm eine ganz eigene Struktur verleiht. In Channers Arbeiten wird der zweidimensionale Stoffträger in eine Art schuppige Reptilienhaut verwandelt und somit zur Skulptur.Der Herstellungsprozess liegt an der Schnittstelle zwischen manueller und maschineller Produktion: Die Falte selbst wird von Hand erzeugt, während die Wärmepresse sie fixiert. Bevor die Seide gefaltet wird, lässt die Künstlerin sie mit einem Bild bedrucken, wobei sie seine Form, Farben und Struktur mittels Verschiebung und Überlagerung digital verfremdet. Die gefalteten Oberflächen entfernen sich von ihrem Ursprungsbild und nähern sich immer mehr der visuellen Erscheinung von Fossilien an, die als Motiv an verschiedenen Stellen in der Ausstellung auftreten.

Ammonite, 2019 / 

Echioceras-Ammonit-Fossil, schwarzer Polypipe-Ridgicoil-Kabelkanal RC160X25BE, 160 mm × 25 m, Edelstahl, Kabelbinder, sandgegossenes Aluminium / 
376 × 45 × 180 cm / 
Foto: Achim Kukieles

Ammonite, 2019 /

Echioceras-Ammonit-Fossil, schwarzer Polypipe-Ridgicoil-Kabelkanal RC160X25BE, 160 mm × 25 m, Edelstahl, Kabelbinder, sandgegossenes Aluminium /

376 × 45 × 180 cm /

Foto: Achim Kukieles

Auf dem Boden krümmen sich zwei grosse Aluminiumknochen Ammonite
und Ammonite (beide 2019) um schwarze, von Stahlbändern zusammengehaltene Wellrohre, die als Kabelkanäle für Elektroinstallationen dienen. Die Rohre bestehen wie unzählige andere Produkte aus HDPE-Pellets, in deren Inneren sich kleine Ammoniten-Fossilien befinden. Ihre Oberflächen sind von Kanten gezeichnet, ähnlich den Aluminiumkörpern, deren Struktur von den Graten und Furchen, die der Roboterarm hinterlassen hat, mitgeformt sind. Die Spuren, welche die CNC-Fräse auf der Objektoberfläche hinterlässt, werden normalerweise vor dem Giessen abgeschliffen, aber Channer bezieht sie bewusst in die Sprache ihrer Skulpturen mit ein. Die Kombination von Formgebung, Materialien und Prozessspuren lässt Assoziationen aufkommen, welche voneinander weit entfernte zeitliche Dimensionen in Beziehung treten lassen, die von prähistorischen Lebensformen bis zu industriell produzierten Waren reichen.

Raum 2


Mechanoreceptor, Icicles (red, red) (triple spring, triple strip), 2018 / 
Wachsausschmelzguss und PVC-getauchtes Aluminium, Titan, elektropolierter rostfreier Stahl, rostfreier Stahldraht, rostfreies Stahlblech, PVC-beschichtete rostfreie Stahlseile, Aufhängungen / 


variable Dimensionen /
Foto: Lewis Ronald

Mechanoreceptor, Icicles (red, red) (triple spring, triple strip), 2018 /

Wachsausschmelzguss und PVC-getauchtes Aluminium, Titan, elektropolierter rostfreier Stahl, rostfreier Stahldraht, rostfreies Stahlblech, PVC-beschichtete rostfreie Stahlseile, Aufhängungen /

variable Dimensionen /

Foto: Lewis Ronald

Mechanoreceptor, Icicles (red, red) (triple spring, triple strip) (2018) untersucht die Beziehungen zwischen Materialien, industriellen und technologischen Verfahren und dem Körper. Das Werk besteht aus rechteckigen Trägerstrukturen, die an roten Schnüren von der Decke hängen, die zugleich zum Boden herabbaumeln, wo sie in Schlaufen enden. Die Konstruktionen, welche Channer mithilfe einer Firma, die auf die Metallverarbeitung spezialisiert ist, entwickelte, werden zum Teil des endgültigen Werks und machen den Herstellungsprozess selbst zum Akteur. An 210 massgefertigten Halterungen sind Aluminiumfinger befestigt, die aus einem Abguss des rechten Zeigefingers der Künstlerin gegossen wurden. Zuvor wurde ihr Finger gescannt, digital in die Länge gezogen und mit einem 3D-Drucker wieder materialisiert. Auf der Produktionsstrasse wurden die Finger in einem seriellen Prozess ein Stück weit in leuchtend rotes Thermoplast getaucht und mit einem verführerischen Glanz ummantelt, der gleichzeitig befremdlich artifiziell wirkt. Die einzelnen Bestandteile der Plastik finden sich wie Requisiten zu einem Bühnenbild zusammen, auf dem es scheint, als wäre alles in Bewegung und wir würden Zeug*innen des Entstehungsmoments dieses glamourösen Produkts. Wenn Channer ihren eigenen Finger inszeniert, verweist sie unweigerlich auf das Konzept moderner künstlerischer Autorschaft, das sich auf die Kunstschaffenden als individuelle Schöpfer*innen eines Werks bezieht, und konfrontiert dieses Bild mit der industriellen, aber auch kreativen Formgebung maschineller und technologischer Produktion.

Life Without Air (Mesophyll), 2022 / 
Silk-Cut-Zigarettenasche, Polyethylen-Mikrokugeln  500–850 μm, Bleistift, und Wasser auf und in Papier, gerahmt /  
35.6 × 47.8 × 3.3 cm /
Foto: Lucy Dawkins

Life Without Air (Mesophyll), 2022 /

Silk-Cut-Zigarettenasche, Polyethylen-Mikrokugeln  500–850 μm, Bleistift, und Wasser auf und in Papier, gerahmt /  

35.6 × 47.8 × 3.3 cm /

Foto: Lucy Dawkins

Die Papierarbeiten der Serie Life Without Air (2022/2023) fertigt die Künstlerin mit Silk-Cut-Zigarettenasche an, die sie in einem Aschen-becher mit Wasser mischt. Die Zeichnungen erinnern an organische Formen, Pflanzen- oder Tierskelette. Polyethylen-Mikrokugeln, die dazu dienen können, die Bewegung von Flüssigkeiten durch ein System – ob mechanisch oder organisch – zu messen, setzen sich auf dem Papier fest und glänzen wie kleine Schmuckperlen.

Dry Cask (Silk Cut), 2023
Hochglanzpoliertes, lasergeschnittenes, gebogenes und geschweisstes Edelstahlblech, Kreppsatinseide mit Akkordeon-Falten, sandgegossenes, dampfgestrahltes und verchromtes Aluminium, sandgegossenes und 
dampf-gestrahltes Aluminium /
28 × 58 cm; 24 × 60 cm; 26 × 63 cm /
Foto: Lucy Dawkins

Dry Cask (Silk Cut), 2023

Hochglanzpoliertes, lasergeschnittenes, gebogenes und geschweisstes Edelstahlblech, Kreppsatinseide mit Akkordeon-Falten, sandgegossenes, dampfgestrahltes und verchromtes Aluminium, sandgegossenes und dampf-gestrahltes Aluminium /

28 × 58 cm; 24 × 60 cm; 26 × 63 cm /

Foto: Lucy Dawkins

Silk Cut, der Name einer Zigarettenmarke, ist gleichzeitig Titel der Ausstellung in der Kunsthalle. Er spielt auf eine Werbekampagne der Agentur Saatchi & Saatchi der 1980er-Jahre an (ein Mitbegründer war der spätere Londoner Galerist Charles Saatchi, der massgeblichen Einfluss auf die britische Kunst der 1990er-Jahre hatte). Als Channer etwa 7 Jahre alt war, sah sie in London ein grossformatiges Werbeplakat, das einen glamourösen dunkelvioletten Satinstoff abbildete, der von dem Schnitt eines Messers durchtrennt war. Die Kampagne war sexy, gewalttätig sowie visuell wirksam und war für Channer eine prägende ästhetische Begegnung. Sie griff dem Verbot vor, Zigaretten in der Tabakwerbung abzubilden, und vermied es nicht nur, das Produkt zu zeigen, das sie bewarb, sondern verzichtete auch auf den Markennamen und stellte stattdessen Material und Aktion dar. Nicht nur der Titel der Werbung «Silk Cut Modern» klang wie eine Galerie, auch Referenzen an Lucio Fontanas zerschnittene Leinwände oder surrealistische Assoziationen knüpften auf subversive Weise an die Ästhetik der Kunst an.

«Dry Cask (Silk Cut) ist eine bodenbasierte Arbeit, die drei runde Behälter mit leicht unterschiedlichen Höhen und Durchmessern umfasst. Einer enthält schwarzen plissierten Crêpe-Seidensatin, während der Stoff in den anderen beiden das leuchtende Violett der Silk Cut-Werbung hat […]. Der schwarze Stoff wird einzeln präsentiert, die Ränder seiner Falten lesen sich wie geologische Faltungen oder die Wirbel eines Fingerabdrucks, die sich in den glänzenden Kanten des Behälters widerspiegeln. In jedem der anderen beiden ist eine silberne Form enthalten:

dampfgestrahlte Aluminium-Sandgüsse von fossilen Ammoniten (der kleine matt, der grössere verchromt), die sich wie pummelige Seidenraupen zwischen die Falten schmiegen.

Die Skulptur ist lose den zylindrischen Trockenbehältern nachempfunden, die

zur Lagerung von Atommüll verwendet werden und die sich Channer aufgeschnitten vorstellt. [...] Die Arbeit ist Teil einer Antwort auf ihre eigene frühere Forderung nach Formen, die ungewiss, anders, fremd sind. Channer argumentiert, dass wir, um die Herausforderungen zu meistern, denen wir gegenüberstehen (sozial, ökologisch, ökonomisch, philosophisch), neue Arten von Objekten brauchen: ‹Sie müssen selbstbewusst zweifelhaft sein, merkwürdig wie elegant, h o r i z o n t a l wie vertikal, weich wie hart. [...]› Und während der Vergleich mit der Lagerung von Atommüll auf finstere Weise die Komplexität dessen aufruft, was sich oft hinter den

glänzenden Oberflächen industrieller Formen verbirgt, entschied sich Channer hier dafür, den Genuss zu erkunden, und erlaubte sich, Farbe und Oberfläche auf äusserst verführerische Weise zu verwenden. Damit schliesst sich der Kreis zur Werbetafel – deren violetter Luxus die Künstlerin als Kind, zusammengerollt wie eine Seidenraupe auf der Rückbank im Auto ihrer Eltern, verführerisch anzog –, die Giftstoffe unter glamourösen Stofffalten versteckt verkaufte.»

Auszug aus Zigaretten, Schmutz und Glamour im Werk von Alice Channer von Zoë Gray. Der Essay wurde für die monografische Ausstellungspublikation Alice Channer, hrsg. v. Kunstmuseum / Kunsthalle Appenzell, September 2023, in Auftrag gegeben.

Raum 3

Planetary System (Kolzer DGK63”), 2019 /
Horizontales Vakuum-Metallisierungskarussell-System Kolzer DGK63”, vakuum-metallisierte Seespinnen (Maja brachydactyla), Taschenkrebsschalen (Cancer pagurus) auf Edelstahlvorrichtungen / 

Foto: Achim Kukieles

Planetary System (Kolzer DGK63”), 2019 /

Horizontales Vakuum-Metallisierungskarussell-System Kolzer DGK63”, vakuum-metallisierte Seespinnen (Maja brachydactyla), Taschenkrebsschalen (Cancer pagurus) auf Edelstahlvorrichtungen /

Foto: Achim Kukieles

Ähnlich wie zuvor treffen wir hier auf ein Verfahren, beziehungsweise ein vermenschlichtes Fliessband und einen entfremdeten Herstellungsprozess. Planetary System (Kolzer DGK63”) (2019) zeigt ein Stahlkarussell, das normalerweise der Aluminiumbeschichtung von Autoscheinwerfern dient und hier dafür genutzt wurde, taktile Lebewesen zu metallisieren. Sobald das Karussell, das in der Branche als Planetensystem bezeichnet wird, in einem Vakuum platziert wird, drehen sich die Vorrichtungen, an denen die Krabben befestigt sind, wodurch sich ein feiner Nebel aus flüssigem Metall auf ihnen ansammeln kann. Die fragilen Taschenkrebspanzer stehen im Kontrast zur groben, röhrenförmigen Konstruktion und erscheinen doch als Einheit. Die Entfremdung, die der industriellen Herstellung innewohnt, wird infrage gestellt, während der Prozess subjektiviert und zum integralen Bestandteil des Objekts wird. Gleichzeitig verweist das Werk auf die ökologische Fragilität im Verhältnis zu unserem produktionsorientierten Umgang mit Umweltressourcen. Die zerbrechlichen Exoskelette mögen durch den Einsatz von Technologie verführerisch gemacht worden sein, aber sie sind durch ihre Nähe zur Maschine auch akut gefährdet. Der Titel Planetary System (Kolzer DGK63”) bleibt vielstimmig: Assoziationen zur Raumfahrt vermischen sich mit Referenzen zu natürlichen Lebensformen und organischen Körpern, und mögliche Science-Fiction-Erzählungen mit der Faszination für ein technologisches Fortschrittsversprechen.

Biographie

Alice Channer (*1977 in Oxford, UK, lebt und arbeitet in London) absolvierte einen Bachelor in Fine Art am Goldsmiths College, London (2006), und einen Master in Skulptur am Royal College of Art, London (2008). Ihre Werke wurden ausgestellt an der Liverpool Biennale, UK (2021); der 55. Biennale von Venedig, IT (2013); und der Glasgow International, UK (2010). Sie hatte institutionelle Solopräsentationen im Aspen Art Museum, Colorado, US (2015); in der Kestner Gesellschaft, Hannover, DE (2014); im Hepworth Wakefield, Yorkshire, UK (2013); Kunstverein Freiburg, DE (2013); und in der South London Gallery, UK (2012). Werke im öffentlichen Raum realisierte sie in Joshua Tree, CA, US (2022); der University of the West of England, UK (2021); und für Artangel, UK (2021). Sie war in zahlreichen Gruppenausstellungen repräsentiert, so in der Royal Academy of Arts, London, UK (2022); im Marta Herford, DE (2021); Yorkshire Sculpture Park, UK (2021); in der Kunsthalle Hamburg, DE (2018); der Whitechapel Gallery, London, UK (2018); im MO.CO. Panacée, Montpellier, FR (2018); im Museum Kurhaus Kleve, DE (2016); in der Whitworth Art Gallery, Manchester, UK (2016); der Aïshti Foundation, Beirut, LB (2015); im Public Art Fund, New York, US (2015); Fridericianum, Kassel, DE (2014); Künstlerhaus Graz, AT (2014); und in der Tate Britain, London, UK (2012).

Impressum

Publikation 

Anlässlich der Ausstellung erscheint im DISTANZ Verlag ein umfassender, von Mathias Clottu gestalteter monografischer Katalog (engl./dt.) mit Essays von Rosanna McLaughlin und Zoë Gray, einem experimentellen Text von Daisy Hildyard und einem Interview von Stefanie Gschwend mit Alice Channer.

KURATORIN

Stefanie Gschwend, Direktorin / Kunstmuseum / Kunsthalle Appenzell

AUSSTELLUNGSORGANISATION

Claudia Reeb

AUSSTELLUNGSUMBAU

Christian Hörler, Christian Meier, Niklaus Ulmann,
Ueli Alder, Raoul Doré, Asi Föcker, Roswitha Gobbo, Carina Kirsch

KUNSTVERMITTLUNG

Anna Beck-Wörner

ADMINISTRATION & EVENTS

Ursula Schmid

EMPFANG & AUFSICHT

Petra Baumann, Raphaela Böhi, Dominique Franke, Margrit Gmünder, Roswitha Gobbo, Carina Kirsch,
Margrit Küng, Madleina Rutishauser, Barbara Metzger, Cristina Mosti, Lilli Schreiber

HERAUSGEBER / EDITORS

Kunstmuseum / Kunsthalle Appenzell

REDAKTION

Stefanie Gschwend

TEXT

Wenn nicht anders vermerkt: Stefanie Gschwend

COURTESY

Wenn nicht anders vermerkt: Courtesy the artist and Konrad Fischer Galerie

LEKTORAT

Michaela Alex-Eibensteiner

ÜBERSETZUNG

Katja Naumann

GRAFIK

Data-Orbit / Michel Egger, St.Gallen

DANK

Alice Channer, D O M E St.Gallen, Berta Fischer, Irène Geisser und / and Bernhard Mandel, Zoë Gray, Alex Gray, Ruedi Grob, Daisy Hildyard, Noël Hochuli, Konrad Fischer Galerie, Kunstgiesserei St. Gallen, Large Glass, Rosanna McLaughlin, Marc Ohliger, Thomas Rieger, Charlotte Schepke, Sonja Schürpf, Heinz Stamm und Leihgeber*innen, die nicht namentlich genannt werden möchten / and lenders who wish to remain anonymous

MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG VON 

Hans und Wilma Stutz Stiftung
Goldsmiths, University of London
Konrad Fischer Galerie
Kantonales Landesbauamt Appenzell Innerrhoden
Ernst und Olga Gubler-Hablützel Stiftung

Alice Channer
Starship (Super Heavy), 2022 / 
Bearbeiteter Kalkstein, hochglanzpolierter Aluminiumguss im Wachsausschmelzverfahren, verchromtes, dampfgestrahltes, maschinell bearbeitetes und sandgegossenes Aluminium, Kreppsatinseide mit Akkordeon-Falten, lasergeschnittener und hochglanzpolierter Edelstahl / 

135 × 135 × 5 cm; 120 × 120 × 9 cm; 130 × 130 × 11 cm / 
Foto: Fred Dott

Starship (Super Heavy), 2022 / 

Bearbeiteter Kalkstein, hochglanzpolierter Aluminiumguss im Wachsausschmelzverfahren, verchromtes, dampfgestrahltes, maschinell bearbeitetes und sandgegossenes Aluminium, Kreppsatinseide mit Akkordeon-Falten, lasergeschnittener und hochglanzpolierter Edelstahl /

135 × 135 × 5 cm; 120 × 120 × 9 cm; 130 × 130 × 11 cm /

Foto: Fred Dott

Crustacean Satellites, 2018 / 
Vakuummetallisierte Spinnenkrabben (Maja brachydactyla) und Taschenkrebse (Cancer pagurus) auf Edelstahlvorrichtungen, PVC-beschichtete Stahlkabel, Halterungen / 

450 × 105 × 110 cm /
Foto: Stuart Whipps

Crustacean Satellites, 2018 /

Vakuummetallisierte Spinnenkrabben (Maja brachydactyla) und Taschenkrebse (Cancer pagurus) auf Edelstahlvorrichtungen, PVC-beschichtete Stahlkabel, Halterungen /

450 × 105 × 110 cm /

Foto: Stuart Whipps

Rockpool, 2022 / 
Zwei Tonnen von aus der Mojave-Wüste gewonnenem Grobsalz, handgeformter, pulverbeschichteter und lackierter Stahl /
20 m × 6.43 m × 20 cm / 
Courtesy the artist and High Desert Test Sides / 
Foto: Sarah Lyon

Rockpool, 2022 /

Zwei Tonnen von aus der Mojave-Wüste gewonnenem Grobsalz, handgeformter, pulverbeschichteter und lackierter Stahl /

20 m × 6.43 m × 20 cm /

Courtesy the artist and High Desert Test Sides /

Foto: Sarah Lyon

Burial, 2016 / 
Aluminiumbronzeguss, Betonguss, Cortenstahlguss / 

Foto: Aurélien Mole

Burial, 2016 /

Aluminiumbronzeguss, Betonguss, Cortenstahlguss /

Foto: Aurélien Mole

Linear Bivalves (Quintuple Green) (Detail), 2018 / 
Vakuummetallisierte und lackierte Muschelschalen auf massgefertigten Vorrichtungen / 
Foto: Roman März

Linear Bivalves (Quintuple Green) (Detail), 2018 /

Vakuummetallisierte und lackierte Muschelschalen auf massgefertigten Vorrichtungen /

Foto: Roman März

Birthing Pool, 2019 / 
Plissierter Hightech-Lamé mit Akkordeon-Falten, Polyester-Satin mit Akkordeon-Falten, «Frauen Damen Tier Leopard Schlange PU PVC Wet Look glänzende Leggings Mode Hose neu» mit Akkordeon-Falten, «sexy Damen hohe Taille Wet Look skinny Leder Leggings Hose schwarz» mit Akkordeon-Falten, hochglanzpolierter Edelstahl, pelletiertes und recyceltes HDPE /
372 × 172 × 8.5 cm / Installation: Dimensionen variabel /

Foto: Tim Bowditch

Birthing Pool, 2019 /

Plissierter Hightech-Lamé mit Akkordeon-Falten, Polyester-Satin mit Akkordeon-Falten, «Frauen Damen Tier Leopard Schlange PU PVC Wet Look glänzende Leggings Mode Hose neu» mit Akkordeon-Falten, «sexy Damen hohe Taille Wet Look skinny Leder Leggings Hose schwarz» mit Akkordeon-Falten, hochglanzpolierter Edelstahl, pelletiertes und recyceltes HDPE /

372 × 172 × 8.5 cm / Installation: Dimensionen variabel /

Foto: Tim Bowditch

Granite, 2015 / 
Digitaldruck auf schwerem Crêpe de Chine, gerahmt; maschinell bearbeiteter, gemeisselter und handpolierter Marmor / 

je 171.45 × 156.21 cm und 20 × 20 × 20 cm / 
Foto: Charles Benton

Granite, 2015 /

Digitaldruck auf schwerem Crêpe de Chine, gerahmt; maschinell bearbeiteter, gemeisselter und handpolierter Marmor /

je 171.45 × 156.21 cm und 20 × 20 × 20 cm /

Foto: Charles Benton

Gills (2012) / 
Digitaldruck auf Spandex; Aluminium / 
216 × 197 × 37 cm, (fünfteilig) / 
Foto: Cary Whittier

Gills (2012) /

Digitaldruck auf Spandex; Aluminium / 

216 × 197 × 37 cm, (fünfteilig) /

Foto: Cary Whittier

Megaflora, 2021 / 
Sandgegossenes Aluminium / 330 × 72 × 47 cm / 
Courtesy the artist und Large Glass, London / Foto: Kunstgiesserei St.Gallen

Megaflora, 2021 /

Sandgegossenes Aluminium / 330 × 72 × 47 cm /

Courtesy the artist und Large Glass, London / Foto: Kunstgiesserei St.Gallen

Pangolin, 2023
UV-Digitaldruck auf den Storen des Kunstmuseums Appenzell / 
je 346.5 × 358 cm; 226 × 358 cm /
Heinrich Gebert Kulturstiftung Appenzell

Pangolin, 2023

UV-Digitaldruck auf den Storen des Kunstmuseums Appenzell / 

je 346.5 × 358 cm; 226 × 358 cm /

Heinrich Gebert Kulturstiftung Appenzell

Soft Sediment Deformation (Iron Bodies), 2023 /
Tintenstrahldruck mit Opal-Falten auf und in schwerem Crêpe de Chine / 

Foto: Rob Harris

Soft Sediment Deformation (Iron Bodies), 2023 /

Tintenstrahldruck mit Opal-Falten auf und in schwerem Crêpe de Chine /

Foto: Rob Harris

Ammonite, 2019 / 

Echioceras-Ammonit-Fossil, schwarzer Polypipe-Ridgicoil-Kabelkanal RC160X25BE, 160 mm × 25 m, Edelstahl, Kabelbinder, sandgegossenes Aluminium / 
376 × 45 × 180 cm / 
Foto: Achim Kukieles

Ammonite, 2019 /

Echioceras-Ammonit-Fossil, schwarzer Polypipe-Ridgicoil-Kabelkanal RC160X25BE, 160 mm × 25 m, Edelstahl, Kabelbinder, sandgegossenes Aluminium /

376 × 45 × 180 cm /

Foto: Achim Kukieles


Mechanoreceptor, Icicles (red, red) (triple spring, triple strip), 2018 / 
Wachsausschmelzguss und PVC-getauchtes Aluminium, Titan, elektropolierter rostfreier Stahl, rostfreier Stahldraht, rostfreies Stahlblech, PVC-beschichtete rostfreie Stahlseile, Aufhängungen / 


variable Dimensionen /
Foto: Lewis Ronald

Mechanoreceptor, Icicles (red, red) (triple spring, triple strip), 2018 /

Wachsausschmelzguss und PVC-getauchtes Aluminium, Titan, elektropolierter rostfreier Stahl, rostfreier Stahldraht, rostfreies Stahlblech, PVC-beschichtete rostfreie Stahlseile, Aufhängungen /

variable Dimensionen /

Foto: Lewis Ronald

Life Without Air (Mesophyll), 2022 / 
Silk-Cut-Zigarettenasche, Polyethylen-Mikrokugeln  500–850 μm, Bleistift, und Wasser auf und in Papier, gerahmt /  
35.6 × 47.8 × 3.3 cm /
Foto: Lucy Dawkins

Life Without Air (Mesophyll), 2022 /

Silk-Cut-Zigarettenasche, Polyethylen-Mikrokugeln  500–850 μm, Bleistift, und Wasser auf und in Papier, gerahmt /  

35.6 × 47.8 × 3.3 cm /

Foto: Lucy Dawkins

Dry Cask (Silk Cut), 2023
Hochglanzpoliertes, lasergeschnittenes, gebogenes und geschweisstes Edelstahlblech, Kreppsatinseide mit Akkordeon-Falten, sandgegossenes, dampfgestrahltes und verchromtes Aluminium, sandgegossenes und 
dampf-gestrahltes Aluminium /
28 × 58 cm; 24 × 60 cm; 26 × 63 cm /
Foto: Lucy Dawkins

Dry Cask (Silk Cut), 2023

Hochglanzpoliertes, lasergeschnittenes, gebogenes und geschweisstes Edelstahlblech, Kreppsatinseide mit Akkordeon-Falten, sandgegossenes, dampfgestrahltes und verchromtes Aluminium, sandgegossenes und dampf-gestrahltes Aluminium /

28 × 58 cm; 24 × 60 cm; 26 × 63 cm /

Foto: Lucy Dawkins

Planetary System (Kolzer DGK63”), 2019 /
Horizontales Vakuum-Metallisierungskarussell-System Kolzer DGK63”, vakuum-metallisierte Seespinnen (Maja brachydactyla), Taschenkrebsschalen (Cancer pagurus) auf Edelstahlvorrichtungen / 

Foto: Achim Kukieles

Planetary System (Kolzer DGK63”), 2019 /

Horizontales Vakuum-Metallisierungskarussell-System Kolzer DGK63”, vakuum-metallisierte Seespinnen (Maja brachydactyla), Taschenkrebsschalen (Cancer pagurus) auf Edelstahlvorrichtungen /

Foto: Achim Kukieles

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